: Willkommen in Bitterfeld
Die Kommunen im Ruhrgebiet veröffentlichen ihre finanzielle Bilanz: Demografische Entwicklung und der Verlust von Arbeitsplätzen reicht an den Stand der ostdeutschen Flächenländer heran
VON ELMAR KOK
Die Zahl der Erwerbstätigen im Ruhrgebiet ist unter die der ostdeutschen Flächenländer gesunken. Das teilte gestern der Regionalverband Ruhr (RVR) mit. Im Ruhrgebiet leben rund 5,3 Millionen Menschen. Laut RVR-Statistik arbeiten von 1.000 Einwohnern im Revier nur 415, in den ostdeutschen Flächenländern 422, im nordrhein-westfälischen Schnitt 449. Zum Vergleich: Am Mittelrhein arbeiten pro 1.000 Einwohner 501 Menschen, in der Region um Stuttgart sind es sogar 535.
Der vom RVR in Essen vorgestellte Kommunalfinanzbericht der 52 RVR-Gemeinden zeigt die Folgen dieser Entwicklung. Weil in den Kommunen die Einnahmen aus der Einkommenssteuer sinken und die Städte zugleich steigende Sozialkosten zu bewältigen hätten, werde der finanzielle Spielraum immer enger, sagte Heinz-Dieter Klink, Direktor des RVR: „Die Kommunen können nur noch bei den Investitionen sparen.“ Übersetzt heißt das, die Kommunen könnten nur noch bei der Wirtschaftsförderung oder beispielweise kulturellen Angeboten einsparen.
Martin Junkernheinrich, Volkswirt der Uni Trier, rechnete die Bilanzen der Kommunen von Kreis Wesel bis Hamm gestern genau vor: In den vergangenen 28 Jahren hätten die RVR-Gemeinden genau viermal einen positiven Haushalt vorgelegt. Sollten sich diese Mehreinnahmen zukünftig jedes Jahr realisieren lassen, „brauchen die Kommunen mehr als 2.000 Jahre, um die schlechten Jahre wieder abzutragen“, so Junkernheinrich. Zwar sei zu erwarten, dass den Gemeinden in Zukunft durch die Gewerbesteuererhöhung mehr Einnahmen zur Verfügung stehen, trotzdem ließen sich die Etatlücken „nicht allein durch eine wirtschaftliche Revitalisierung schließen“.
Verantwortlich dafür ist die demografische Entwicklung im Ruhrgebiet, die Klink gestern durch ein Beispiel aus seiner Heimatstadt erläuterte. Während in den 70er Jahren noch knapp 400.000 Menschen Gelsenkirchen bevölkerten, seien es heute nur noch rund 280.000. „Trotzdem müssen sie dort beispielsweise alle Parks weiter bewirtschaften.“ Dadurch stiegen für die Kommune die Grünflächenausgaben pro Kopf.
Angesichts der desaströsen Finanzlage der Ruhrkommunen, sagte Rainer Schmeltzer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Düsseldorfer Landtag zur taz, „man freut sich schon fast über jede Pommesbude, die neu aufmacht“. Der Abgeordnete aus Lünen mahnte: „Wir brauchen neue Ideen.“ Beispielsweise funktioniere der Technologiepark in Dortmund, der der Universität angeschlossen ist, sehr gut. Der demografischen Entwicklung lasse sich durch die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren entgegenwirken, zudem müsse im Ruhrgebiet die Hochschullandschaft gestärkt und mit der Wirtschaft verankert werden: „Es macht keinen Sinn hier viele Studenten zu haben, die dann letztlich nach Bayern gehen.“