Soziale Netzwerke: Glücklich verbunden

Nicholas Christakis und James Fowler untersuchen den Einfluss von virtuellen und realen Netzwerken auf Meinungen und Verhalten. Das Ergebnis: Auch indirekte Freunde gleichen sich.

Nicolas Charistakis beim Talk "The hiddeen influence of social networks". Bild: Steve Jurvetson - Lizenz: CC-BY

Es ist nicht bekannt, wie die Sechs-Schritte-Regel herzuleiten und zu beweisen wäre – aber sie zirkuliert seit Jahren: Sie können jeden beliebigen Menschen auf der Welt grüßen, indem Sie einen Ihrer Bekannten bitten, den Gruß weiterzuleiten – wenn er keine direkte Verbindung zum Adressaten hat, wiederum an einen Bekannten, mit der gleichen Bitte. Angeblich reichen sechs solche Schritte, um den Gruß ans Ziel zu bringen.

Nicht nur Informationen und Gerüchte verbreiten sich oft durch Mundpropaganda, sondern auch Normen und Verhaltensweisen, wie die amerikanischen Professoren Christakis und Fowler in ihrem Buch "Connected!" nachweisen. "Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist", lautet der leicht irreführende deutsche Untertitel.

Als Glücksratgeber taugt das Werk höchstens ganz indirekt. Aber dass man sich besser nicht mit Griesgramen umgibt, wusste schon Shakespeares Julius Cäsar: "Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen!"

Soziale Netzwerke gab es selbstverständlich schon lange vor dem Internet. Neue prähistorische Forschungen zeigen, dass bei der Evolution des Menschen gerade die Fähigkeit, differenzierte Sozialbeziehungen einzugehen, eine wesentliche Rolle gespielt hat.

Zu den überschaubaren und mit Namen versehenen Gemeinschaften wie Dorf oder Sippe sind längst komplexe Beziehungsnetze hinzugekommen, organisierte und unorganisierte: berufliche, religiöse, auf die Freizeit bezogene oder auf Zufall beruhende.

Kontakt zu Kontakten

Auch wer selten im Internet plaudert, gehört zu mehr Netzwerken, als ihm wahrscheinlich bewusst ist. Denn jede Person, mit der man sich mehr oder weniger regelmäßig austauscht – sei es in der Familie, bei der Arbeit, in der Nachbarschaft oder im Verein –, hat ihrerseits solche Kontakte, mit Menschen, die man selber kennt, aber auch mit anderen. Eben angeblich in sechs Schritten bis ans Ende der Welt.

Ausgehend von seiner Arbeit mit Paaren, begann sich der Mediziner und Soziologe Nicholas Christakis für die Einflüsse zu interessieren, denen die Eheleute unterlagen. Er kam zu dem Schluss, es reiche nicht, wie bisher Netzwerke "von drei bis dreißig Personen" zu untersuchen. Vielmehr nahm er Millionen von Vernetzten ins Visier – auch mit der Absicht, Sozialpolitik effizienter anzugehen. An der Universität Harvard vernetzt, stieß er auf den heute in Kalifornien tätigen James Fowler, der sich als Politikwissenschaftler mit ähnlichen Fragen beschäftigte.

Die beiden Professoren haben zahlreiche Studien zusammengetragen oder selber durchgeführt, die den Einfluss von Freunden (von Freunden von Freunden) auf die eigene Meinung oder das Verhalten nachweisen sollen. Meistens handelte es sich um Befragungen, oft an Universitäten, vorwiegend in den USA. In dort landesüblicher Art ist der Begriff "Freundschaft" weit gefasst.

Offenbar gaben die meisten Befragten bereitwillig Auskunft, mit wem sie wie intensiv verkehrten, und schickten ihren Freunden die Befrager ins Haus. Untersucht wurde etwa, wie stark solche Freunde im Gesundheitsverhalten übereinstimmten (Rauchen, Fitness, Gewicht, Sexualleben), in politischen Ansichten und Wahlbeteiligung, aber auch schlicht in der Zufriedenheit mit dem Leben, im Glücksgefühl.

Beinahe durchwegs zeigte sich, dass zwischen direkten Freunden weit mehr Übereinstimmung herrscht als statistisch bei Zufallspaarungen zu erwarten. Das ist nach dem Motto "Gleich und Gleich gesellt sich gern" auch für die Autoren keine Überraschung. Aber sogar bei indirekten Beziehungen (mindestens ein gemeinsamer Freund) fanden sie meist 5 bis 10 Prozent mehr Übereinstimmung als per Zufall.

Sie halten das nicht für eine weitere Auswirkung von "Gleich und Gleich", sondern für ein Zeichen des Einflusses. Leider gehen sie dieser Unterscheidung in ihrer Untersuchung viel zu selten nach.

Wo die Einflussnahme direkt Thema von Studien war – so bei der Mundpropaganda zugunsten der Wahlteilnahme –, schien sie tatsächlich nachweisbar zu sein. Wiederum nur bis zum dritten Grad der Freundschaft; in den weiteren Verästelungen der untersuchten Netzwerke waren kaum noch besondere Übereinstimmungen festzustellen.

Durchschnittliche Theorie

Das Internet ist für die Autoren ein zusätzliches Instrument der sowieso schon bestehenden weltweiten Vernetzung. Von der Banalität des real existierenden Gedankenaustausches etwa auf Facebook lassen sie sich nicht beirren und preisen die Qualität des Mitmach-Lexikons Wikipedia.

"Wie ein erwachendes Kind wird sich der menschliche Überorganismus seiner selbst bewusst", schließen Christakis und Fowler emphatisch.

Und die Bekanntschaft aller Erdenbürger dank sechs Zwischenschritten? Auch sie findet im Buch eine Erklärung: Die Teilnehmer einer Studie erhielten den Auftrag, einer unbekannten Person eine E-Mail zu schicken, ohne einen Suchdienst zu verwenden – nur indem sie aus ihrer Kontaktliste jemanden wählten, bei dem sie Beziehungen in die richtige Richtung vermuteten.

Nach durchschnittlich sechs Schritten waren die Mails am Ziel – zwar in aller Welt, aber nur in jener Minderheit, die überhaupt Strompost hat. "Durchschnitt" bedeutet, dass sogar in dieser Gruppe viele Leute mehr als sechs Schritte entfernt sind; die schöne neue Netzwelt ist also noch lange nicht global.

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