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Archiv-Artikel

Anwalt angeklagt

CHINA Im einem Aufsehen erregenden Mafia-Prozess belastet ein Gangsterboss plötzlich seinen Verteidiger. Juristen sind alarmiert

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität von Chongqing, einer 30-Millionen-Metropole am Yangtse, nimmt seltsame Wendungen. Nachdem bereits fünf Gangsterbosse und über hundert Bandenmitglieder zum Teil zum Tode verurteilt wurden, sitzt nun auch ein prominenter Rechtsanwalt in U-Haft: Die Polizei beschuldigt Li Zhuang, Beweise für seinen Mandanten gefälscht zu haben. Li beteuert seine Unschuld.

Lis Festnahme löste unter chinesischen Anwälten Unruhe aus. Sie fürchten, der Kampf gegen die Mafia gehe so weit, dass den Angeklagten ein ordentlicher juristischer Beistand verweigert wird – wie es häufig bei Prozessen gegen politische Kritiker passiert. Begonnen hatte alles im Sommer, als der örtliche Parteichef und Exhandelsminister Bo Xilai mit Hilfe von Polizisten aus anderen Landesteilen 3.000 Menschen verhaften ließ. Mord, Erpressung, illegales Glückspiel, Entführungen, Zuhälterei waren einige der Vorwürfe, die gegen gewöhnliche Kriminelle wie gegen den Exchef von Chongqings Justizbehörden, hohe KP-Kader, Volkskongress-Delegierte und Unternehmer erhoben wurden.

Ausgelöst hatten die Aktion blutige Kämpfe, die sich die Bande von Gong Gangmo mit Rivalen am 3. Juni lieferten. Chinas Medien berichteten ausführlich über die Festnahmen, durften aber eine Frage nicht stellen: Wie war es möglich, dass sich der Filz jahrelang in Chongqing ausbreiten konnte? Stattdessen wurde über die plötzliche Reue von Gangsterboss Gong und angebliche Machenschaften seines Anwalts Li berichtet. Gong, so heißt es, habe sich im Dezember der Polizei anvertraut, weil ihm Lis Ratschläge Gewissensbisse bereiteten. So habe der Jurist öffentlich machen wollen, dass Gong in der Haft misshandelt wurde. „Er fragte, ob wir von der Polizei durch Folter oder Schläge zum Geständnis gebracht worden seien“, sagte Gong, der – höchst ungewöhnlich für einen Untersuchungshäftling in China – den Medien Interviews geben darf: „Ich sagte, dass ich geschlagen wurde, und er forderte mich auf, das laut zu sagen, wenn er mich vor Gericht danach fragen würde.“ Warum der Mafiaboss seinem Verteidiger in den Rücken fiel, ist Anlass für Spekulationen. Womöglich wurde ihm ein milderes Urteil versprochen.

Juristen fordern jetzt, den Prozess gegen Li in eine andere Region zu verlegen, da in Chongqing eine faire Verhandlung nicht möglich sei. Auch verlangen sie, aus der Strafprozessordnung den Passus zu streichen, nach dem Anwälte sich strafbar machen, wenn ihre Mandanten im Prozess etwas Falsches aussagen. Schon mehrfach wurden Juristen als angebliche Komplizen ihrer Mandanten inhaftiert.