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Archiv-Artikel

„Ich gehöre zu den Skeptikern“

Der Bewegungsforscher Dieter Rucht glaubt nicht, dass das „Protestsparen“ gegen die große Koalition sehr erfolgreich wird. Trotzdem verteidigt er die neue Aktionsform: Sie sei nicht so passiv, wie für Greenpeace zu spenden

taz: Herr Rucht, Sie sind Bewegungsforscher. Nun gibt es eine ganz neue Aktionsform – das „Protestsparen“. Mit den Zinsen sollen Kampagnen gegen die große Koalition finanziert werden. Was halten Sie von dieser Innovation?

Dieter Rucht: Bevor ich irgend etwas sage: Ich bin hochgradig befangen. Schließlich sitze ich im Stiftungsrat der Bewegungsstiftung, die jetzt für das „Protestsparen“ wirbt.

Sie sind also begeistert?

Ich finde den Begriff „Protestsparen“ nicht gerade mitreißend. Das klingt, als würde man aus Protest sparen. Ausgerechnet in Deutschland, das schon über eine viel zu hohe Sparquote verfügt.

Wie würden Sie das „Protestsparen“ lieber nennen?

Wir haben einen anderen Begriff gesucht, aber keinen besseren gefunden.

200.000 bis 300.000 Euro Kapital sollen eingesammelt werden. Ist das realistisch?

Ich gehöre zu den Skeptikern.

Warum haben Sie dann im Stiftungsrat zugestimmt?

Weil ich fast immer zu den Skeptikern gehöre (lacht) – und manchmal irre ich mich auch.

Es gibt schon so viele Protestvereine, die Spenden sammeln – braucht es noch einen?

Gegen diese Zersplitterung habe ich auch Bedenken. Die Spendensummen stagnieren; es gibt einen Run auf knappe Gelder und einen Überbietungswettbewerb bei der Vermarktung. Jeder versucht, sich gegen andere zu profilieren.

Hätte man nicht einfach dazu aufrufen können, Greenpeace zu unterstützen? Die sind auch gegen Kernkraft.

Es gibt schon Unterschiede zu unserem „Protestsparen“. Die 550.000 Menschen, die regelmäßig für Greenpeace spenden, delegieren ihren Aktivismus per Scheckbuch an die Profis. In der Tendenz ist es ihnen egal, wo sich Greenpeace engagiert – ob für Robbenbabys, Drei-Liter-Autos oder gegen Ölplattformen. Beim „Protestsparen“ ist das anders: Da können die Teilnehmer mitentscheiden, welche Kampagnen gefördert werden. Das führt zu einer größeren Identifikation mit dem Projekt.

Hat das „Protestsparen“ nicht sehr viel mit Status zu tun? Wer keine Rolex tragen will, kann trotzdem zeigen, dass er reich ist?

In der Bewegungsstiftung sind viele Erben mit schlechtem sozialem Gewissen. Aber die meisten drängen nicht in die Öffentlichkeit. Sie möchten anonym bleiben.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN