: Mehr Spielraum gibt es immer
STREICHLISTEN Sparvorschläge liegen vor. Dafür müsste die Union frühere Beschlüsse zurücknehmen
BERLIN taz | Die extreme Haushaltsnot des Bundes ist gravierend. Die meisten Vorschläge für Einsparungen, die derzeit kursieren, haben aber den Nachteil, dass sie von Union und FDP in der Vergangenheit abgelehnt wurden.
Arbeitslosenversicherung: Den Beitragssatz für die Nürnberger Bundesagentur hat die große Koalition auf Drängen der Union erst zum 1. Januar 2009 auf den historischen Tiefstand von 2,8 Prozentpunkten gesenkt. Schon damals war absehbar, dass dieser Satz angesichts wachsender Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit nicht ausreicht. Jetzt vollzieht die Union eine Kehrtwende und will von 2011 an wieder zu 4,5 Prozent zurück. Das widerspräche zwar den bisherigen wirtschaftspolitischen Maximen der CDU, brächte dem Finanzminister aber schon im ersten Jahr eine Ersparnis von rund 14 Milliarden Euro.
Krankenversicherung: Rund 16 Milliarden Euro Steuermittel sollen 2010 in den Gesundheitsfonds fließen, aus dem sich die gesetzlichen Krankenkassen speisen. Da liegt es nahe, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) überlegt, ob das Geld nicht zurückgeholt werden kann. Ein Umbau des Systems zur „Kopfpauschale“ würde allerdings zu einem enormen Bedarf an Steuermitteln führen, um soziale Härten zu verringern. Eine Alternative ist die Privatisierung von Leistungen. Eine Auslagerung von Zahnbehandlung in eine Privatversicherung brächte 11 Milliarden Euro. Übertragbar wäre solch ein Sparmodell auch auf Unfälle. Deren Kosten liegen allerdings im niedrigen einstelligen Milliardenbereich.
Rentenversicherung: Eine Rentenkürzung hat die Rentnerpartei CDU im Frühjahr gesetzlich ausgeschlossen, die Kosten von rund 8 Milliarden Euro allerdings einseitig den Beitragszahlern aufgebürdet. Der Bundeszuschuss wird berechnet, als wäre die Rentenformel noch in Kraft. Niedrigere Renten brächten dem Finanzminister daher 0 Euro, sie könnten allenfalls Spielraum schaffen für höhere Krankenkassen- und Arbeitslosenbeiträge.
Zinsbesteuerung: Seit dem 1. Januar 2009 werden Einkünfte aus Kapitalvermögen nur noch pauschal mit 25 Prozent besteuert, nicht mehr mit dem persönlichen Steuersatz von bis zu 45 Prozent. Das sollte die Kapitalflucht bremsen, beschert dem Staat aber Mindereinnahmen von 1,3 Milliarden Euro jährlich. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt vor, diese Regelung rückgängig zu machen.
Mehrwertsteuer: Trotz aller vorausgegangenen Dementis hat bislang noch jede CDU-geführte Bundesregierung die Mehrwertsteuer erhöht. Bei einem Satz von 19 Prozent gibt es noch Luft nach oben: Italien und Österreich verlangen 20 Prozent, die skandinavischen Länder gar 25 Prozent. Jeder zusätzliche Punkt bringt rund 8 Milliarden Euro. Denkbar ist auch die Abschaffung bestehender Vergünstigungen etwa für Lebensmittel, Zeitungen, Schnittblumen oder neuerdings Hotels.
Pendlerpauschale: Dass die klimaschädliche Subvention nach einem Urteil des Verfassungsgerichts von der großen Koalition wieder eingeführt wurde, war alles andere als zwingend. Die Richter hatten lediglich die Ungleichbehandlung von Kurz- und Langstreckenpendlern gerügt. Eine gänzliche Abschaffung wäre wohl erlaubt, sie brächte nach Schätzungen bis zu 5 Milliarden Euro.
Sonntags- und Nachtzuschläge: Die Steuerfreiheit dieser Zuschläge, die ohnehin längst nicht in allen Branchen gezahlt werden, gilt Haushältern seit je als Ärgernis. Ein Abbau dieser Bevorzugung brächte nach früheren Berechnungen der Grünen 1,1 Milliarden Euro, würde der Kanzlerin aber Ärger mit den Gewerkschaften einhandeln.
Energiesubventionen: Jahrzehntelang galt die Bezuschussung der deutschen Steinkohle als Musterbeispiel für unsinnige Subventionen. Kaum ein Politiker wird aber den Kompromiss wieder aufschnüren wollen, seit ihre Abschaffung bis zum Jahr 2018 beschlossen ist. Die Solarförderung dagegen will der neue Umweltminister beschneiden, die Branche hat wegen gesunkener Kosten sogar Entgegenkommen signalisiert. Die Einspeisevergütung wird allerdings von den Stromverbrauchern bezahlt, der Bundeshaushalt würde um 0 Euro entlastet.
Vermögensteuer: Die SPD fordert seit ihrem letzten Parteitag die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnte sie bei einem Satz von 1 Prozent theoretisch 16 bis 21 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Überall dort, wo die Steuer erhoben wird, sind die Einnahmen in der Praxis allerdings weit niedriger. RAB, UWI