Kunsthaus Tacheles fürchtet Räumung: "Wir streiken virtuell"
Das Tacheles erhält von allen Seiten Unterstützung - darüber freuen sich Vorstand Martin Reiter und die Künstler so sehr, dass sie andere für sich hungerstreiken lassen.
taz: Herr Reiter, das Tacheles hat wegen der bevorstehenden Räumung groß einen Hungerstreik angekündigt. Warum hungern Sie nicht?
Martin Reiter: Wir hatten ein Ultimatum gestellt: Sollte bis Mittwoch um 24 Uhr kein Einlenken zu erkennen sein, wird der Hungerstreik angesetzt. Nun gibt es so viel Einlenken wie seit Monaten nicht. Bis dato ist kein Brief gekommen, dass das Insolvenzverfahren eröffnet ist und wir die Schlüssel übergeben müssen. Das bedeutet, dass eine unserer Forderung erfüllt ist.
Martin Reiter, 47, ist bildender Künstler und gehört seit 1999 dem Tacheles-Vorstand an.
Das Tacheles, Touristenmagnet und kreative Herberge für derzeit 30 Künstler, soll geräumt werden. Der frühere Eigentümer ist insolvent; die HSH Nordbank als Hauptgläubigerin will eine Zwangsversteigerung der Kunstruine.
Die Bank gehört mehrheitlich den Ländern Schleswig-Holstein und Hamburg.
Der Tacheles-Verein hat wegen Mietnachforderungen Insolvenz angemeldet, das Verfahren wird in den nächsten Tagen eröffnet, und die Bank wird die Herausgabe des Gebäudes fordern.
Aus Protest gegen die drohende Räumung lädt die Gruppe Tacheles für den 7. August zu einem "großen Fressen". (dpa, taz)
Erfüllt? Laut Insolvenzverwalter liegt es nur am bürokratischen Prozedere, dass das Verfahren noch nicht eröffnet wurde, und nicht an einem Umschwenken der HSH Nordbank.
Für uns ist es ein Zeichen, dass die Bank keinen Druck macht und wir ihnen Zeit einräumen, unseren Kompromissvorschlag in Sack und Tüten zu packen: das Tacheles-Gebäude per Erbpachtvertrag an eine noch zu gründende öffentlich-rechtliche Stiftung Tacheles zu geben, damit würde es Eigentum der Bank bleiben.
Aber genau das will die Bank ja nicht, sie will das gesamte Gelände mit dem geräumten Tacheles versteigern …
… aber es ist ja noch mehr passiert. Gerade hatten wir einen Anruf der Polizei, die versucht hat, die Bank anzurufen …
Was hat denn jetzt die Polizei mit der HSH Nordbank zu tun?
Das weiß ich auch nicht, aber die Emotionen gehen hier gerade hoch, die Polizei unterstützt uns sehr und wünscht uns viel Erfolg. Und die Berliner CDU hat vom Regierenden Bürgermeister gefordert, er solle von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen und eine Entscheidung herbeiführen.
Aber Wowereit hat von Anfang an gesagt, dass er nicht kaufen wird.
Diese Unterstützung der CDU ist für uns Neuland, wir freuen uns über diese parteiübergreifende Politik. Zu Herrn Wowereit ist zu sagen: Es geht hier nicht darum, öffentliches Geld zu verbrutzeln. Unser Vorschlag mit Erbpacht und Stiftung kostet niemanden etwas. Herr Wowereit und Kulturstaatssekretär Schmitz tun alles in ihrer Macht Stehende, auch der Bundespräsident hat seine Anteilnahme bekundet.
Das sind Sympathiebekundungen, die die Bank wohl nicht von ihrem Plan abbringen wird. Das signalisiert sie seit Monaten.
Und wir signalisieren seit Monaten, dass sie das Tacheles-Grundstück vom Rest des Geländes abtrennen müssen, den sie dann ruhig verkaufen können. Wir gehen ja nicht davon aus, dass wir mit einem Hungerstreik eine Systemänderung vornehmen.
Ist es nicht genauso unrealistisch, dass sich die Bank durch einen Hungerstreik von der Räumung abbringen lässt?
Wieso? Wenn die Bank einen Rest an Vernunft besitzt, dann wird sie es machen, denn die Öffentlichkeit wird immer größer werden. Wir geben nicht auf. Aber wir werden das Werkzeug des Hungerstreiks nicht larifari verpulvern, das wäre verantwortungslos. Deshalb streiken wir erst mal virtuell.
Sie veröffentlichen im Internet Fotos von Passanten, die etwa vor einer McDonalds-Filiale mit Plakaten "Diesen Burger kauf ich nicht - Hungerstreik für Tacheles" abgelichtet werden. Sie lassen also andere hungern?
Wir nennen das Solidarität und erregen damit international Aufmerksamkeit.
Was passiert in den nächsten Tagen?
Wenn die Bank nicht einlenkt, streiken wir. Die Bank muss sich warm anziehen, wenn sie Künstler in Mitte verhungern lässt.
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