Neubearbeitung von Klassikern: Disco ist unsterblich

Edits, die nicht immer ganz legale Neubearbeitung alter Klassiker, sind der heißeste Scheiß auf dem Dancefloor. Stars der Szene: der Norweger Todd Terje und die Briten Horse Meat Disco.

Discokugel, aufgenommen in Amsterdam. Bild: yozza – Lizenz: CC-BY

Disco erlebt vier Jahrzehnte nach seiner Geburt eine Renaissance. Disco-Revivals wurden schon so manche ausgerufen, man denke nur an den Hype um die ersten Veröffentlichungen des New Yorker Environ-Labels und seines Machers Morgan Geist gegen Ende der Neunziger. Zumeist blieb es jedoch bei kurzen Zuckungen.

Vor fünf Jahren gelang es einer Gilde bärtiger Norweger, Discomusik tatsächlich wieder langfristig als Sehnsuchtsklang zu etablieren. Unter der etwas missverständlichen Bezeichnung Balearic brachten sie Discosound in seiner gemächlichen Variante zurück auf die Tanzflächen.

Balearisches Oslo

Nun hat Norwegens Hauptstadt Oslo so gar nichts Mediterranes an sich, dennoch beschreibt Balearic die elektronische Tanzmusik von Osloer Produzenten wie Hans-Peter Lindstrøm oder Prins Thomas treffend, weil sie in ihren Produktionen an jenen schwülen Eklektizismus anknüpfen, wie er in den Achtzigern in DJ-Sets zumeist britischer Discjockeys auf den balearischen Inseln zwischen New Wave, Italo-Disco und Synthiepop gepflegt wurde. Wie ihre Ahnen drosselten auch die Norweger radikal das Tempo und ersetzten die in den Neunzigern vorherrschende kühle Klangästhetik von Minimal-Techno wieder durch analoge Instrumente und warme Flächen.

Aus Oslo kommt auch Todd Terje. Anders als Lindstrøm und Prins Thomas macht sich der Endzwanziger jedoch weniger durch Eigenproduktionen einen Namen als vielmehr durch seine zahllosen Edits. Edits nennt man die chirurgisch am Computer bearbeiteten künstlichen Verlängerungen längst vergessener Disco-Klassiker aus den Siebzigern. Tanzmusik, wie sie einst in New Yorker Clubs wie der Paradise Garage aufgelegt wurde, ist heute wieder stark gefragt. Edits tauchen auch auf aktuellen DJ-Playlists auf.

So auch Edits von Todd Terje. Unter dem großspurigen Titel "Remaster of the Universe" veröffentlichte das Münchener Label Permanent Vacation unlängst eine Werkschau Terjes, darunter ist auch seine grandiose Version des Klassikers "Pop Muzik", der im Original von Robin Scott Ende der Siebziger unter dem Pseudonym "M" veröffentlicht worden ist. Terje modelt das mitunter tranige Original zu einem richtigen Popacid-Stück um, das sich nahtlos auch in zeitgenössische Housesets einbauen lässt. Im Gegensatz zu vielen anderen Protagonisten der Editwelle geht es Terje weniger darum, Undergroundklassiker oder Raritäten auszugraben und allein durch seinen Bekanntheitsgrad für eine größere Öffentlichkeit interessant zu machen. Nein, er verpasst bekannten Hits die für ihn typisch verspulte Signatur. Viele der von ihm bearbeiteten Originale dürften auch Spätgeborenen bekannt vorkommen, zuletzt wilderte er sogar in Stücken von Michael Jackson, Ace Of Base oder den Bee Gees und veröffentlichte sie in einer abgewandelten Form unter Pseudonymen wie Tangoterje oder Chuck Norris. Selbst vor Chics Discomonster "I want your love" hat er nicht Halt gemacht, obwohl diesem Evergreen seit dem Cover des Detroiter Houseproduzenten Moodymann von 1996 nicht mehr viel hinzuzufügen schien.

Die Idee des Edits war eine Notgeburt. Als in den Siebzigern die ersten Disco-DJs anfingen, ihre Songs ineinanderzumixen, statt die Lieder durch Ansagen zu unterbrechen, erwies sich das gängige Format der 7-Zoll-Single als ungeeignet, denn die engen Rillen gaben zu wenig Klangtiefe her. Auch ließen sich die Singles auf den damals verbreiteten Riemenplattenspielern nur schwer im Rhythmus synchronisieren. Dabei waren es besonders die Rhythmuspassagen von Disco- und Funksongs, die für Euphorie auf der Tanzfläche sorgten. Um diese verlängern zu können, bedurfte es also entweder zweier Versionen der gleichen Single, oder man fertigte gleich einen eigenen Edit an.

Was damals umständlich am Tonband geschah, kann heute relativ einfach mit Traktor-Software bewerkstelligt werden: Am Bildschirm werden Rhythmuspassagen gedoppelt und so zu Monstern aufgebohrt. Den Grundstein für diese moderne elektronische Tanzmusik legte Ende der Siebziger der New Yorker DJ Larry Levan in dem überwiegend von Schwarzen und Latinos frequentierten New Yorker Schwulenclub Paradise Garage. Mit zwei Turntables brachte Levan die Idee, Discomusik als einen Track aufzulegen, zu einem ersten künstlerischen Höhepunkt. Bei ihm waren Anfang und Ende eines Songs nicht mehr erkennbar. Der erste Zeremonienmeister der Disco nahm etwa die A-capella-Version einer Platte und mischte sie zu einem fremden Instrumental hinzu.

Levan starb Anfang der Neunziger an Aids. Bis zu seiner Wiederentdeckung sollten zehn Jahre vergehen. Inzwischen zirkulieren selbst Live-Aufnahmen von ihm und seine zahllose Edits und Remixe werden von einer nachgeborenen DJ-Generation als Nonplusultra angesehen. Terje und seine Mitstreiter pflegen in ihren Osloer Partynächten Reliquien aus der Paradise Garage hinter dem DJ-Pult zu platzieren. Auch das queere Londoner DJ-Kollektiv Horse Meat Disco, das sich die Veröffentlichung rarer Disco-B-Seiten zur Aufgabe gemacht hat, ließ den längst geschlossenen Club für einen Auftritt auf dem Glastonbury Festival sogar nachbauen.

Im Zuge der Discorenaissance erleben auch Pioniere wie Greg Wilson einen zweiten Frühling. Der Brite gehörte Anfang der Achtziger zu den DJ-Pionieren auf der Insel, unter anderem legte er in der legendären Hacienda in Manchester auf, später ein Epizentrum von Acid House und Rave.

Wilsons zahlreiche mit Bandmaschine und Rasierklinge zusammengeschnipselten Edits waren damals allerdings nicht gefragt. Nach zwei Jahrzehnten im Keller gelangen sie über das Londoner Tirk-Label seit einiger Zeit in Umlauf. Die vielgelobte Reihe "Credit to the edit" bescherte Wilson dermaßen viele Bookinganfragen, dass er sogar wieder mit dem Auflegen angefangen hat, was er immer noch mit Tonbandmaschinen macht.

Disco feiert ihre Auferstehung also nicht mehr nur in Skandinavien. Quer über alle Kontinente arbeiten mittlerweile Disco-DJs und Kleinstlabels, die sich auf die Veröffentlichung von Edits spezialisiert haben. Zu den interessantesten gehört aktuell der Schotte Graeme Clark, der eigentlich seit 20 Jahren Musik produziert, aber erst in der jüngeren Vergangenheit mit Projekten wie The Revenge, 6th Borough Project und dem Label Instruments of Rapture die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Den verwendeten Originalen fügt er durch Zerhackstückelung der Samples und Geschwindigkeitsangleichung im Sinne des Downtempohouse tatsächlich eine künstlerische Note hinzu.

Da er und die anderen Edit-Produzenten sich auf juristischem Glatteis bewegen und Klagen der Rechteinhaber von Originalen aufstrebende Edit-Produzenten leicht ruinieren könnten, erscheint ein großer Teil der Bearbeitungen nur auf inoffiziellem Wege als Bootleg.

Verschleierte Ursprünge

Gelingt es jedoch, das Ursprungsmaterial ausreichend zu bearbeiten, lässt sich ein reguläres Album aus Disco-Originalen basteln. Ein Beispiel ist der japanische Produzent KZA, Besitzer einer der umfassendsten Plattensammlungen Asiens, der auf seinem Album "Dig and Edit" Versatzstücke aus völlig obskuren Jazz-, Ambientalben verspachtelt hat, so dass die Ausgangsquellen kaum mehr festzustellen sind. Solchermaßen synchronisiert und zu einem groovenden und konsistenten Ganzen zusammenmontiert, muss es schon wieder als Künstleralbum bezeichnet werden. Denn der Schritt, von Grund auf originäres Material zu produzieren, steht vielen Protagonisten erst noch bevor.

Das war zu Zeiten Larry Levans wohl nicht anders. Aber das wichtigste Kriterium eines guten DJs bleibt ohnehin die Liebe zur Musik, die automatisch einen respektvollen Umgang mit dem Ausgangsmaterial erfordert.

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