: „Ein trauriger Tag“
Verehrte Muschi! (VI): Edmund Stoibers Briefe aus der Hauptstadt an seine in Wolfratshausen weilende Gattin Karin, genannt „Muschi“. Diesmal: Wie die Alte doch tatsächlich Kanzlerin wurde
VON STEFAN KUZMANY
Verehrte Muschi,
jetzt ist die Alte doch tatsächlich Kanzlerin geworden und ich muss dir berichten, wie es gewesen ist. Ich wäre eigentlich lieber nicht hingegangen, indem man sich ja auch nicht alles antun muss, aber andererseits kann ich mich der Verantwortung nicht entziehen auch wenn es mich innerlich zerreisst dabei. Ich war aber nur kurz da und bin dann schnell in die Landesvertretung gefahren weil es mich doch gar zu sehr aufgeregt hat.
Sie haben mir hier einen Fernseher reingestellt und du hast es im Fernseher wahrscheinlich auch schon gesehen: Die Alte hat einen Anzug angehabt, einen schwarzen auch noch, als ob es eine Beerdigung wäre, und ich glaube fast, es war auch eine, nämlich die Beerdigung unseres schönen Vaterlandes. Es war alles recht feierlich und alle haben ein recht feierliches Gesicht gemacht. Auf dem Weg in die Wahlkabine habe ich mir noch überlegt, was ich mache, weil es doch geheim war, und ich habe sie natürlich nicht gewählt weil es einfach nicht geht. Es hat dann nur eine einzige ungültige Stimme gegeben und da ist drauf gestanden, dass der rechtmässige Kandidat hier leider nicht zur Wahl steht und dass man deswegen nur ungültig wählen kann. Du kannst dir schon denken, von wem diese Stimme kam, denn sie kam nämlich von mir.
Später ist sie dann zum Köhler und hat recht dumm gegrinst und der Köhler hat noch saublöder gegrinst als wie sonst und der Söder wird schon noch was ausgraben über den dass wir ihn bald weghauen. Ich werde dem Söder übrigens nicht kündigen, weil er es schon ganz richtig gemacht hat, wie er zu dir gesagt hat, dass ihm die Parteitreue wichtiger ist als du. Das teile ich dir hiermit am Rande mit und den Hausschlüssel für Wolfratshausen hat er mir auch schon gegeben, damit du es weisst.
Die Alte ist dann zurück ins Parlament und hat bei Gott geschworen auf das Vaterland und dass sie eine gute Kanzlerin wird, aber die kann viel schwören, weil sie es nämlich nicht kann und zwar überhaupt nicht.
Ich bin dann danach aus der Pflicht heraus zu ihr hin. Aber es hat mich angeekelt, weil der erste, der zu ihr hin ist der Westerwelle gewesen ist und ihr die Hand gegeben hat und wie ich ihr die Hand gegeben habe war ihre Hand ganz feucht und man weiss ja nicht, wo der Westerwelle vorher hineingelangt hat. Zum Glück habe ich noch ein Brillenputztuch dabei gehabt, damit habe ich mir danach schnell die Hand abgewischt und es war ganz klebrig. Vielleicht war es auch vom Struck, weil der ihr vor mir die Hand gegeben hat.
Ich war recht scheinheilig und hab der Alten gesagt, dass wir jetzt auch von der Länderebene her kooperieren werden und von Seiten der Schwesterpartei und ich glaube, sie hat es gefressen, weil ich sie gar so eingeseift habe. Die wird ihr blaues Wunder schon noch erleben.
Dem Glos habe ich gerade gesagt, dass jetzt die Stufe Zwei beginnt und er fangt gleich morgen damit an und du musst nur morgen früh das Radio einschalten und dann wirst du es schon hören. Der Wilhelm ist auch eingeweiht und es wird ein rechter Spass und er hat versprochen, dass er es heimlich aufnimmt, wie sie reagiert, wenn sie es erfährt und er spielt es mir vor.
Ich muss schon lachen, wenn ich daran denke und es geht mir schon viel besser an diesem traurigen Tag für unser Vaterland.
Herzlichst, Edmund