: Ein Land sucht Rettung, und Europa soll helfen
ZYPERN Die Krise wird den Menschen auf der Insel noch mächtig zusetzen. Daran wird auch der Wahlsieger kaum etwas ändern
NIKOS ANASTASIADES
AUS NIKOSIA KLAUS HILLENBRAND
Im Zypern-Museum zu Nikosia steht die Aphrodite von Soli. Der Torso aus dem 1. Jahrhundert vor Christus mit Traummaßen lockt jährlich Tausende Touristen an. Im Sommer parken die Busse in langer Reihe an der Museumsstraße.
Gleich nebenan warten ganz andere Menschen in Trauben auf Einlass. Es sind keine kulturbeflissenen Urlauber, sondern Zyprioten. Sie stehen vor einem Arbeitsamt. Fast 15 Prozent der Menschen sind ohne Job, bei Jugendlichen ist es rund das Doppelte, und das in einem Land, in dem Arbeitslosigkeit vor Kurzem noch ein Fremdwort war. Nach nur sechs Monaten endet das Arbeitslosengeld, dürftige Sozialhilfe droht. Inzwischen unterstützt die Kirche Tausende mit Lebensmitteln.
Nikos Anastasiades’ nächster Job wird nicht leicht. Der 66-jährige Rechtsanwalt von der konservativen Disy-Partei erhielt bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am Sonntag 45,4 Prozent der Stimmen und gilt damit für die Stichwahl in der kommenden Woche als klarer Favourit. Sein Gegner Stavros Malas von der linken Akel-Partei erreichte nur 26,9 Prozent, der Populist Giorgos Lillikas schied auf Platz drei mit 24,9 Prozent aus. Der bisherige Amtsinhaber Dimitris Christofias (Akel) trat nicht mehr an. Alles spricht nach Auffassung von Wahlanalysten dafür, dass Anastasiades am nächsten Sonntag die absolute Mehrheit einfahren wird. „Ich habe ein starkes Mandat für eine europäische Orientierung erhalten“, sagte er am Sonntagabend.
Der Konservative muss nicht nur die schwere Rezession bekämpfen, die die Zyprioten nach Jahrzehnten des Aufstiegs urplötzlich immer ärmer macht. Er hat versprochen, schnell eine Einigung mit der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und IWF zu erzielen. Es geht um einen Rettungskredit in Höhe von rund 17 Milliarden Euro – die Wirtschaftsleistung Zypern eines ganzen Jahres. Experten gehen davon aus, dass das Land noch bis Anfang Juni über Geld verfügt.
Ein in den Grundzügen erstelltes Memorandum der Troika zum Ausgleich des Haushalts sieht deutliche Steuer- und Abgabeanhebungen und Einsparungen im öffentlichen Dienst vor. Staatsangestellte müssen auf bis zu 12,5 Prozent ihres Gehalts verzichten.
Vor allem aber sieht sich Zypern mit Vorwürfen besonders deutscher Politiker konfrontiert, das Land sei ein Geldwäsche- und Steuerdumpingparadies für russische Oligarchen. Tatsächlich leben mehrere Zehntausend nicht gerade arme Russen auf der Insel. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zweifelte zudem schon an, ob die Insel angesichts ihrer kleinen Wirtschaftskraft überhaupt ein systemische Problem für den Euro darstellt. Wenn dem so wäre, hieße es, dass gar kein Geld fließt.
Das Szenario gilt freilich als unwahrscheinlich, da die EU mehrheitlich eine Zypern-Rettung befürwortet. Es bleibt allerdings die Frage, ob auch der Deutsche Bundestag einer unpopulären Finanzhilfe mitten im Wahlkampf zustimmt.
Immerhin dürften die Chancen mit Anastasiades als Präsident steigen. Er gilt als Vertrauter Angela Merkels, die ihn im Januar mit einem Auftritt unterstützte. Der Konservative zeigte sich zudem bereit, personell üppig ausgestattete Staatsfirmen zu privatisieren – sein Vorgänger Christofias hatte das zuletzt ausgeschlossen. Die niedrigen Steuersätze will er dagegen nicht antasten, und gegen die Geldwäschevorwürfe verwahrt er sich. Andererseits dürften weitere soziale Einschnitte mit Anastasiades leichter zu machen sein.
Andreas Christou vom Arbeitsministerium rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Die Kirche plant die nächsten Lebensmittelhilfen für Bedürftige. Es steht zu befürchten, dass die Armut auf Zypern so oder so weiter grassiert. Und im Fall einer Ablehnung des Rettungskredits ins Unermessliche explodiert.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 9