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Archiv-Artikel

Der Bürgermeister interpretiert sich selbst

ZITATE „Pay as you go“ war Olaf Scholz’ Wahlslogan. Der gilt noch, bedeutet aber was ganz anderes

Es war fast ein Wahlversprechen: „Pay as you go“, verordnete Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) seinen SenatorInnen und meinte – frei übersetzt – damit: Wenn du irgendwo mehr ausgeben willst, sage gleich, wo du genauso viel einsparst.

Zwei Jahre später: Der Bürgermeister zieht die Halbzeitbilanz seiner Wahlperiode, nur will Scholz nun von „Pay as you go“ nichts mehr wissen. Genauer: „Pay as you go“ gilt nach wie vor, heißt jetzt aber nicht mehr, bei jeder Mehrausgabe muss die Einsparmöglichkeit gleich mitgebucht werden. „Pay as you go“ bedeutet nun: Ganz am Schluss, im Gesamthaushalt, muss die Rechnung aufgehen. „Pay as you go“ heißt heute: Die Stadt darf insgesamt höchstens ein Prozent mehr ausgeben als im vorigen Jahr.

Ob der Senat das tut, ist umstritten. Oppositionschef Dietrich Wersich (CDU) etwa rechnet anders als Scholz und kommt auf eine Haushaltssteigerung in Höhe von sechs Prozent in zwei Jahren. Doch auch das wäre nur eine Randnotiz aus der Kategorie Gelehrtenstreit, würde sich Scholz nicht darauf versteifen, er habe „Pay as you go“ nie anders gebraucht, nie anders verstanden, als heute.

Dass das die Journalisten ganz anders erinnern, tut dem Bürgermeister „leid“ für die entsprechenden Medienschaffenden, doch schließlich kann nur ein Scholz einen Scholz zweifelsfrei richtig interpretieren und zitieren. Und da dummerweise niemand zufällig gerade ein altes „Pay as you go“-Originalzitat vom Bürgermeister dabei hat, um es ihm vorzuhalten, ist die Diskussion damit beendet.

Jedenfalls fast beendet. Dummerweise hält das Internet, genauer die Homepage von Olaf Scholz persönlich, die alten Reden und Schriften des Bürgermeisters nach wie vor parat – und so auch einen Text, in dem er Ende 2011 „Pay as you go“ für alle, die des Englischen nicht so mächtig sind, übersetzte. Die von Bill Clinton stammende Formel heißt, so Scholz, im Wortlaut: „Jedes Gesetz, das zu Mehrausgaben führt, muss bereits Einsparungen in entsprechender Höhe enthalten.“ Das, was Scholz damals schrieb, ist also ziemlich genau das, von dem Scholz heute sagt, dass er es nie so gesagt habe. Oder zumindest nicht so gemeint.  MARCO CARINI