JUTTA LIETSCH ÜBER DAS PEKINGER URTEIL GEGEN DEN DISSIDENTEN LIU XIAOBO
: Keine innere Angelegenheit

Elf Jahre Gefängnis für sechs Internetartikel und ein Reformmanifest: Das Urteil gegen den Ehrenpräsidenten des unabhängigen Schriftstellerverbands PEN, Liu Xiaobo, ist alarmierend: Es ist die härteste Strafe der jüngsten Vergangenheit für einen politischen Kritiker.

Das Urteil sollte alle aufrütteln, die so naiv sind, den Versicherungen hoher KP-Funktionäre zu glauben, die Partei wolle China langsam, aber sicher in einen Rechtsstaat verwandeln. Das immer wieder vorgebrachte Argument, China sei zu groß und zu kompliziert und könne deshalb nicht mehr Bürgerrechte verkraften, ist Augenwischerei. Die Repressionen werden nicht schwächer, wie Funktionäre gern behaupten. Im Gegenteil: Fortschritte, die in den vergangenen Jahren von chinesischen Juristen und Bürgerrechtlern mühsam erkämpft wurden, sind vielerorts bedroht oder bereits wieder rückgängig gemacht worden.

An die Spitze wichtiger Justizbehörden setzte die KP wieder Parteisoldaten ohne juristische Ausbildung. Rechtsanwälte werden unter Druck gesetzt, sobald sie ihre Arbeit ernst nehmen und sich in heiklen Prozessen engagieren. Neue Vorschriften engen den Spielraum von chinesischen Journalisten ein, über Rechtsfälle zu schreiben. Gleichzeitig wird der Ton schärfer, mit der die Regierung und eine wachsende nationalistische Mittelschicht ausländische Kritik an der chinesischen Politik als „Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten“ zurückweisen.

Aber Liu ist keine „innere Angelegenheit“. Er hat sich friedlich dafür eingesetzt, dass sein Land gerechter regiert wird. Das Urteil gegen ihn ist ein Verbrechen, begangen von feinen Herren und Damen in der KP-Führung, die Macht und Karriere sichern wollen. An diesem Rückfall in den Stalinismus lässt sich nichts schönreden.

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