Nie mehr sitzen bleiben

Im Wahlkampf wurde davon geträumt, Schleswig-Holstein zum Schülerparadies zu machen. Doch derartige Visionen finden sich in den Reformen der Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) kaum

von Esther Geißlinger

Richtig spitze sind Schleswig-Holsteins Schulkinder nur in einem Bereich: beim Sitzenbleiben und beim Wechsel der Schulart. In anderen schulischen Feldern ist der Norden mittelmäßig, in einigen sogar Nachzügler: Klar, dass sich etwas ändern muss. Noch vor einem Jahr – damals herrschte Wahlkampf – stellte die SPD Konzepte vor, mit denen das gesamte System umgekrempelt werden sollte, Grüne und SSW träumten von Änderungen, mit denen der Norden beispielhaft für den ganzen Bund Schule machen wollte. Das Wahlergebnis verhinderte das, und Ute Erdsiek-Rave, heute SPD-Bildungsministerin der schwarz-roten Koalition, ist notgedrungen pragmatisch: „Ich bin nicht die, die sich hinstellt und sagt, ich hätte eigentlich etwas anderes gewollt.“

Was sie heute will, sind Änderungen im Rahmen des dreigliedrigen Systems, unter anderem in den Oberstufen der 99 Gymnasien im Land: Zentralabitur und eine Schulzeit von zwölf Jahren sind die wichtigsten Punkte – damit zieht Schleswig-Holstein dem Bundestrend nach. Das Zentral-Abi soll im Jahr 2007/2008 erstmals abgelegt werden, im Verbund mit Hamburg: In Kernfächern wie Deutsch oder Mathe werden in der Metropole identische Fragen gestellt wie auf dem platten Land. Die verkürzte Schulzeit beginnt mit dem Jahrgang, der im Jahr 2008 ans Gymnasium wechselt, damit werden 2016 die ersten Kurz-GymnasiastInnen die Schule verlassen. Vielleicht ein Vorteil: Denn die Verkürzung bedeutet, dass in einem Jahr doppelt so viele AbiturientInnen in Unis oder Lehrstellen drängen. Im Jahr 2016 haben die meisten Länder die Umstellung geschafft, der Doppeljahrgang aus Schleswig-Holstein schwappt nach der großen Welle auf den Markt.

Ändern soll sich auch das Gesicht der Oberstufe: Statt freier Kurswahl werden die künftigen SchülerInnen viele Fächer bis zum Abitur belegen müssen und sich nur zwischen „Profilen“ – beispielsweise eher naturwissenschaftlich oder eher sprachlich - entscheiden können. Zentrale Prüfungen soll es auch nach der zehnten Klasse im Gymnasium geben. Die verkürzte Schulzeit ist nur mit mehr Lehrkräften zu schaffen – rund 150 müssten neu eingestellt werden, schätzte Erdsiek-Rave.

„Bildungspolitik im Zeichen des Nierentisches“, nennt die Lehrergewerkschaft GEW die Pläne: Die eingeengte Wahl von Leistungsfächern zeige ein „antiquiertes Verständnis von Allgemeinbildung“. Die Grünen vermuten, dass inzwischen der Philologenverband die Richtung vorgebe: Die Vertretung der GymnasiallehrerInnen hatte ein Papier vorgelegt, das dem des Ministeriums sehr ähnelt.

Wirklich neu ist nur ein Punkt: Um die Zahl der SitzenbleiberInnen zu senken, schafft Schleswig-Holstein die Ehrenrunden einfach ab. Das entspricht dem aktuellen Kenntnisstand: Fachleute haben festgestellt, dass die Ehrenrunde nicht schlauer macht. Die Frage ist nur, ob es in Schleswig- Holstein klappt: Denn das Sitzenbleiben soll nicht ganz verschwinden, nur sehr eingeschränkt werden: „Schulartwechsel und Wiederholungen soll es nur noch am Ende der Orientierungsstufe geben“, so die Vorlage des Ministeriums. Heißt: Wer es bis dahin auf dem Gymnasium geschafft hat, bleibt. Wenn es Probleme gibt, sollen die Kinder stärker gefördert, statt einfach aus dem System gekickt werden. Denn das Ziel soll sein, den Anteil der AbiturientInnen deutlich zu erhöhen – zurzeit besucht nur ein Viertel der 15-Jährigen das Gymnasium, weniger als in anderen Ländern.

„Ob man das ministeriell überhaupt regeln kann, ist fraglich“, meint Bernd Schauer, Sprecher der GEW, auf taz-Anfrage. Die Gefahr bestehe, dass LehrerInnen am Ende der Orientierungsstufe besonders hart aussieben, wenn sie wissen, dass sie es später nicht mehr dürfen. Allerdings: „Gebe es gar keine Rückstufungen in andere Schulen mehr, würde das flächendeckend Gesamtschulen bedeuten – und das ist mit der großen Koalition nicht zu machen.“ Das beste Mittel, schwächere SchülerInnen zu fördern und die Zahl der AbiturientInnen zu erhöhen, sei die Ganztagsschule. „Aber man operiert an Symptomen und will das Ganze nicht sehen.“