: Großexperiment hinterm Gartenzaun
Weil Material stets Mangelware war, bauten viele DDR-Laubenpieper die Zäune ihrer Gärten mit Abfallstoffen selbst. Die Ausstellung „Zaunwelten“ im Museum für Kommunikation gewinnt aus dem Umgang mit den Engpässen im sozialistischen Alltag umfassende lebensphilosophische Betrachtungen
VON FALKO HENNIG
Gibt es etwas Nebensächlicheres als Zäune? Allgegenwärtig sind die Außenbegrenzungen in den Stadtrandsiedlungen, kein Grundstück ohne Zaun. Auch heute wird in der Redensart noch immer ein Krieg „vom Zaun gebrochen“. Andere Sprichwörter sind aus der Mode gekommen, zum Beispiel „Den Zaun des Gartens wegen grüßen“, womit gemeint ist, dass jemand der Mutter schmeichelt, um die Tochter zu bekommen. Vorbei sind auch die Zeiten, da Zäune als bevorzugter Ort für Geister angesehen wurden. Niemand hält den Zaun noch für eine Stätte des Orakels, an der sich das Geschick wandelt und ein Blick in die Zukunft geworfen werden kann, wie im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens nachzulesen ist.
Über die Zukunft Deutschlands wird man also in der Motivforschung Gartenzaun nicht aufgeklärt. Dafür erfährt man in der Ausstellung „Zaunwelten“, für die Nicole Andries und Majken Rehder im Museum für Kommunikation die Gartenzaunkultur der DDR in den Mittelpunkt gestellt haben, eine Menge über die Vergangenheit. An den Zäunen Marke Eigenbau lassen sich Misere und Glanz des realexistierenden Sozialismus ablesen. Das beginnt bei den Materialien, die von den emsigen Zäunlebauern verwendet wurden. Das konnten Abfälle des Kranbau Eberswalde sein, wie an einem Zaun in Negativform aus gezackten Ausstanzteilen zu sehen ist. Genauso kamen die Bleche, die im Feuerlöschgerätewerk „Minimax“ Neuruppin übrig blieben, als Zäune in die Gärten.
Ob Moniereisen vom Stahl und Walzwerk Hennigsdorf oder Plastikschwimmkugeln aus dem Heizungsbau – alles musste als Ersatz für Fertigzäune herhalten. Auch Bremsscheiben von Flugzeugrädern oder Zahnräder aus dem Getriebe von Landmaschinen des VEB Automatisierungsbetrieb Berlin kamen zum Einsatz: Es ist beeindruckend, wie in den Eigenheimsiedlungen die seinerzeit zügig abgewickelte DDR-Wirtschaft überdauert hat. Die Ausstellungsmacher können sogar mit einem echten Zaunsegment prunken, das samt Schweißgerät vom Fleiß der ostdeutschen Laubenpieper kündet.
Den großen Reiz der „Zaunwelten“ macht aber die Recherche vor Ort aus. In 14 Interviews, flankiert von Fotos der stolzen Zaun-Könige, kommt „Zaunwelten“ häufig auf weit mehr zu sprechen als nur Engpässe des DDR-Alltags. So schildern die Eheleute Ruwe ihre Beweggründe, nicht nach Westdeutschland zu fliehen: „Außerdem hat er ja das Häuschen gehabt und da wollte er sich ja nicht erschießen lassen“, erklärt Renate Ruwe mit Blick auf ihren Mann, „denn das Häuschen, das hätte er für nichts auf der Welt, auch für keine Grenze aufgegeben.“ Und Johannes Ruwe bekräftigt: „Das Haus war auf alle Fälle ein Grund für mich, hier in der DDR zu bleiben!“
Dietmar Feuerherd hat sich einen Gartenzaun aus Metall mit Holzelementen gebaut, und eine ganze Philosophie leuchtet auf, wenn er sagt: „Mit Holz assoziiere ich Wärme und mit Metall Starkheit.“ Auch über das Ende der sozialistischen Gesellschaft hat er sich seine Gedanken gemacht: „Woran das jetzt gescheitert ist, das wird am menschlichen Wesen liegen, das klappt einfach nicht. Das war ein großes Experiment, bloß darüber war sich damals keiner bewusst, dass es nur ein Experiment ist.“
Dagegen berichtet Benno Page über den alltäglichen Alkoholismus und das ganz normale Patriarchat im Arbeiter-und-Bauern-Staat: „Jemand hat im Garten gestanden und hat zum Beispiel etwas verbrannt, dann ist ein Nachbar vorbeigekommen und hat gefragt: ‚Wat machst denn du da?‘ – ‚Ick mach det und dette!‘ – ‚Dann lass uns mal ein Bierchen zusammen trinken.‘ Dann sind die Frauen gekommen: ‚Ach, da stehen drei Männer‘, und dann haben sie einen Salat gebracht. Schon war hier eine kleine Feier.“ Da sowohl der Hang zum geselligen Beisammensein wie der zur Verschönerung des Eigenheims gesamtdeutsch sind, hat es wohl mit der deutschen Einheit seine Richtigkeit.
Im gegenüberliegenden Flügel des Museums wird die Dokumentation durch moderne Kunst zum Thema Zaun und Abgrenzung ergänzt: Die Fallhöhe zwischen Volkskunst und Hochkultur ist beachtlich. Außer dem empfehlenswerten Katalog kann man sich die Zäune auch als sinniges Memory-Spiel nach Hause holen (www.sanktoberholz.de) samt einer Auszeichnung zum Verdienten Erinnerungsaktivisten.
In früheren Zeiten wurde nach den Materialien zwischen lebendigem Zaun (zum Beispiel aus Hecken oder Sträuchern) und totem Zaun (aus Holz oder Weidengeflecht) unterschieden. Dieser Ausstellung gelingt es, tote Zäune mit Hilfe von alten Fernsehsendungen, Zeitungsbeiträgen, schönen Fotografien und Interviews in sehr lebendige Zäune zu verwandeln.
Zaunwelten, bis 8. 1. 2006, Di. bis Fr. 9–17, Sa. und So. 11–19 Uhr, Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16. Katalog im Jonas Verlag, 10 Euro