Lebe keusch, Bruder

Der Vatikan verhält sich erstmals offiziell zu Homosexuellen im Priesteramt. Laut „Instruktion“ sind sie nicht mehr des Teufels – solange sie keusch leben

VON JAN FEDDERSEN
UND MICHAEL BRAUN

Die katholische Nachrichtenagentur Adista war mal wieder besonders im Bilde – und gab kund, wesentlich über jene „Instruktion“ bereits Bescheid zu wissen, die eigentlich erst in der kommenden Woche veröffentlicht werden sollte. Unter dem Stichwort „ethische Säuberung“ wird dann Stellung genommen zum so genannten Problem von Homosexuellen in der katholischen Kirche – in Sonderheit im Klerus, also unter Würden- und Amtsträgern.

Acht Jahre hat eine noch vom früheren Kardinal und Leiter der römischen Behörde für letzte Glaubensfragen, Joseph Ratzinger, initiierte Kommission gearbeitet. Nun scheint sich die Tendenz des Präfekten der Kongregation, Prälat Zenon Grocholewski, durchgesetzt zu haben: Homosexuelle sind nicht des Teufels – aber sie haben als solche nicht das Recht, eine Soutane zu tragen. Nicht jeder schwule Mann sei ein „Sünder“, vor allem dann nicht, wenn er seine Sexualität nicht zum Leben erweckt. Dementsprechend gelten homosexuelle Praktiken mehr als prekär – sie sind mit dem Dienst im Klerus nicht vereinbar, „sie können auf keinen Fall gebilligt werden“. Wer sich mit „tief verankerten homosexuellen Tendenzen“ bescheide, ohne sie auch ausleben zu wollen, müsse sich zwar vorwerfen lassen, dass diese Tendenzen trotz womöglich nicht besonders quälender Enthaltsamkeit ein Zeichen „objektiver Unordnung“ seien. Doch er dürfe sich gewiss sein, nicht zum Objekt „ungerechter Diskriminierung“ zu werden – stattdessen verspricht die Kurie keuschen Schwulen „tiefen Respekt“.

Wohlgemerkt: Die Sicht der katholischen Kirche auf den gewöhnlichen Homosexuellen bleibt davon unberührt – diese Schrift wendet sich an Priester und Priesteramtskandidaten. Sie ist eine Reaktion, eine theologische Resonanzfolie auf etliche, auch öffentlich zum Skandal gewordene Fälle von Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen durch katholische Würdenträger. In den USA zählt der katholische Klerus zu den übel beleumundeten Megasekten des Landes – und in Österreich, seit das Kloster St. Pölten als Hort homosexueller lebensverkniffener Lust im purpurnen Käfig bekannt wurde, ist der Vatikan nicht mehr die allerbeste Adresse, um als moralische Instanz noch recht ernst genommen zu werden: ein einziger Pfaffenspiegel, geifernd, bigott, fies und verklemmt.

Sex als Selbstbetrug

Natürlich sind viele Missbrauchsskandale heterosexueller Provenienz zuzuschreiben; aber, die Brille der politischen Korrektheit einmal von der Nase gesetzt, augenscheinlich war es vor allem ein Problem der homosexuellen Priesteramtskandidaten und ihrer bereits ordinierten Vorgesetzten. Hinter den Mauern der Kurie, ob im Kloster oder als Vorsteher einer Kirche, gedieh Homosexuelles prächtig: Schwule Kandidaten fanden dort Asyl, glaubend, dass sie dort, mit dem Herrn als Leitstern, Ruhe vor sexuellen Anfechtungen finden. Im Gegenteil aber entwickelten sich viele dieser geweihten Ruhestätten zu schwulen Kontakthöfen, auch, das wird im Vatikan wohl registriert worden sein, rund um den Petersdom, in Kreuzgängen und Seitenaltären.

Schwule Priester leben immer wieder vom gleichen Muster der Selbstwahrnehmung: Meine Sexualität ist keine, es handelt sich nur um ejakulativ unterfütterte Schwärmerei – keine echte Kopulation jedenfalls, bei der es ja nicht um Fortpflanzung gehen kann. Eine heuchlerische Argumentationsweise: Es kann kein Sex sein, den ich anstrebe, denn Sex ist, denkt meine Kirche, ja nur etwas zwischen Mann und Frau, das der Prokreation dient.

Sakrale Dampfräume

Die Schwulensaunen der Welt, ob in Koblenz, Köln, München, Frankfurt am Main oder Berlin, werden ausgesprochen gern frequentiert von katholischen Priestern: allesamt irgendwie ängstlich, die Sünde des flüchtigen Sexes genießend, gern dazu neigend, die Idee der Orgie im Dampfbad zu kultivieren – und zugleich die Ersten, die Verachtung ausstrahlen, wenn sie es mit jenen Homosexuellen zu tun haben, die den Anschluss an die moderne Bürgerlichkeit schaffen: „‚Schwul zu sein ist schmutzig‘, sagen die“, wie es im Internet in manchen Statements heißt.

Der Vatikan, so gesehen, musste etwas gegen den von seinen Funktionsträgern geschaffenen Underground tun: Die Amerikaner sind mit Schadensersatzforderungen nach Missbrauchsfällen nicht zimperlich – das kann keine Sonntagskollekte wieder einspielen. Dass die katholische Kirche und ihre Ausbildungsinstitute selbst dafür sorgen, dass in ihren Mauern die Bigotterie blühen kann, blieb und bleibt unreflektiert: Psychotherapeuten wie Wunnibald Müller, der mit vielen schwulen Priestern schon gearbeitet hat, weiß, dass der Klerus eine ersehnte Stätte ist, um den Wirren eines Coming-outs zu entkommen: hoffend, dass dort die Lust als sündige Last von einem abfällt.

Hat der Vatikan in seiner achtjährigen Recherche zu der nun formulierten „Instruktion“ auch nur halbwegs von der säkularen Wirklichkeit jenseits seiner Einflussräume Kenntnis nehmen wollen, wird er ebendies auch registriert haben: In seinen Reihen finden schwule Männer Asyl, theologisch gewiss auch suchend, vor allem aber lebensweltlich auf beängstigende Art unsichere Kantonisten: Ihr Begriff von Keuschheit muss ein heuchlerischer sein – und daraus mag die Kongregation den Schluss gezogen haben, dass, wenn schon Homosexuelle so öffentlichkeitsrührig sind wie seit über zwei Jahrzehnten in allen westlich-demokratischen Ländern, für Schwule die gleichen Regeln gelten müssen wie für Heterosexuelle. Das heißt: Zölibat, Keuschheit, Enthaltsamkeit, Vergessen der sexuellen Orientierung, weil ein Priester eben keine körperlichen Gelüste mehr hat. Seine Klimax kommt im rechten Verständnis eines Gebets zum Ausdruck – nicht in der Lüsternheit eines Triebes.

Keuschheit im Test

Denn das sagt ja die „Instruktion“ auch: Homosexuelle können zu Priestern geweiht werden, doch nur dann, wenn sie drei Jahre vor ihrer Weihung auf praktizierte Homosexualität verzichtet haben. Waren sie es vorher, spielt dies keine Rolle: „Sollte es sich hingegen um homosexuelle Tendenzen handeln, die nur Ausdruck eines vorübergehenden Problems sind, wie zum Beispiel dem einer noch nicht abgeschlossenen Adoleszenz“, dann drücken die Kardinäle ein Auge zu. Das Menschenbild mag nicht gefallen: „Adoleszenz“ oder „vorübergehendes Problem“ entsprechen einer Fantasie, die Schwules (oder Lesbisches) als Phänomene von Nichtgelungenheit begreifen möchte. Immerhin drücken die vatikanischen Sentenzen aus, dass man sich auf die Lebenswirklichkeiten von Homosexuellen prüfend eingelassen hat – und sie in seinen Gefilden nicht dulden möchte.

Künftig werde geprüft, ob ein Kandidat „ernste Zweifel“ an seiner sittlich-moralischen Reife zu erkennen gebe. Warum auch nicht? Wenn der Pakt mit dem Klerus bedeutet, keusch zu leben, dann gilt eben der Vertrag. Der Rest ist Ausrede. Selbstverständlich lockt jedes Regelwerk zur Grenzübertretung – heterosexuelle Priester wissen dies ohnehin, Kinder bezeugen ihre Fehltritte. Schwule glauben sich gewiss auf einem Terrain, das sie nicht behelligen kann. Der Wichsfleck (des Gegenübers) ist das Peinlichste, mit dem sie sich beflecken können. Der Vatikan warnt, diese inneren Pfade zu betreten, sei „von tiefster Unehrlichkeit“ geprägt.

Wahr ist aber vor allem: Die „Instruktion“ erklärt Schwule zu echten Wesen. Sie sind nicht des Teufels. Die Kirche nimmt sie ernst. Sie verlangt, wollen sie in ihren Reihen leben, Gehorsam. Das ist nur ehrlich.