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„Nach Öl bohren bringt keinen Profit mehr“

Der Erdölspezialist Kenneth S. Deffeyes hat berechnet, dass die globale Ölförderung heute ihr Maximum erreicht hat. Von nun an wird der Ölfluss kontinuierlich zurückgehen. Da es an Alternativen fehlt, brauchen wir bald viele Karotten

taz: Herr Deffeyes, Sie haben den heutigen Tag, an dem wir in den USA Thanksgiving feiern, zum „World Oil Peak Day“ erklärt. Was heißt das?

Kenneth Deffeyes: Es ist unbestritten, dass die globalen Ölreserven begrenzt sind. Eines Tages muss daher die Ölförderung ihre Spitze, ihren Peak, erreichen – danach nimmt sie unwiderruflich ab. Ich bin davon überzeugt, dass wir bereits an diesem Peak angelangt sind. Und deswegen sage ich durchaus ein wenig pointiert: Dieser Peak ist am heutigen Tag erreicht. Klar, es gibt in meiner Prognose eigentlich eine gewisse Zeitspanne, aber die liegt bei nur wenigen Wochen. Entscheidend ist: Von nun an geht die Ölförderung weltweit zurück, erst langsam, dann immer schneller.

Woher wissen Sie das so genau?

Meine Prognose basiert auf den Methoden, die M. King Hubbert 1956 benutzt hat, um den Peak der US-Ölförderung im Jahre 1970 vorauszuberechnen. Und Hubbert hatte Recht. Also wandelte ich sein Verfahren um zur Beschreibung der globalen Ölförderung.

Wie schnell wird es in den kommenden Jahren abwärts gehen mit der Förderung?

Es beginnt langsam. Im Jahr 2019 wird die Weltölförderung bei 90 Prozent des aktuellen Höchststandes liegen.

Die internationale Ölwirtschaft und auch die Internationale Energie-Agentur versuchen gleichwohl stets den Eindruck zu erwecken, die Ölförderung werde in den nächsten 25 Jahren weiter ansteigen.

In der Tat sagen die großen Ölkonzerne nicht öffentlich, dass das Spiel mit dem Öl vorbei ist. Aber man muss sich ihr Handeln anschauen: Wenn es noch attraktive Aussichten auf Öl gäbe, würden sich die Konzerne doch darum reißen, weitere Bohrrechte zu bekommen.

Sie glauben also, dass diese Signale aus der Industrie Ihre Meinung stützen …

Natürlich, es gibt viele solche Signale. Schauen Sie sich die US-Raffinerien an, die laufen alle nahe ihrer Kapazitätsgrenze, aber neue Anlagen wurden seit 1976 nicht gebaut. Die Öltanker sind voll ausgebucht, aber alte Tanker werden schneller aus dem Verkehr gezogen als neue gebaut. Stattdessen hat man den Eindruck, die Ölindustrie hortet ihr Geld, kauft Aktien und bezahlt Dividenden.

Warum regen die gestiegenen Ölpreise und die wachsende Nachfrage nicht zu Investitionen an?

Wenn Sie davon ausgehen, dass meine Prognose korrekt ist, haben Sie die Erklärung: Wir haben längst das meiste Öl gefunden. Das Bohren nach den geringen Resten bringt inzwischen weder Freude noch Profit. Da hat es einfach keinen Sinn mehr, neue Raffinerien zu bauen oder die Tankerflotte aufzustocken.

Und wie gehen wir nun damit um, wissend, dass wir in einer Welt mit sinkender Ölförderung leben?

Es wird nicht leicht werden. Vor 15 Jahren schon hätten wir damit beginnen müssen, heftigst in alternative Energiestrategien zu investieren. Diese Chance haben wir vertan. Ich habe keine Zweifel, dass der menschliche Erfindungsreichtum bis in 15 Jahren angemessene Energiequellen in ausreichendem Maße erschließen wird, die so nette Adjektive wie „erneuerbar“, „sauber“ oder „nachhaltig“ tragen. Aber für die nächsten Jahre haben wir einen Mangel an alternativen Technologien. Wir werden uns mit den aktuell verfügbaren Energien zurechtfinden müssen.

Was erwarten Sie für die nächsten Jahre?

Einen Run auf hocheffiziente Dieselmaschinen und Windparks. Im Winter können Sie Karotten, Kartoffeln, Kohl und Zwiebeln erwarten – lokale Produkte, die nicht von der südlichen Hemisphäre eingeflogen werden müssen. Machen Sie sich vertraut mit Pastinaken und Rüben. Weil die tägliche Fahrt zur Arbeit teuer wird, werden Wohnorte und Arbeitsplätze wieder näher zusammenrücken, öffentliche Verkehrsmittel und Telekonferenzen zunehmen. Und: Verkaufen Sie Ihren Jeep oder Porsche Cayenne, und finden Sie andere Wege, Ihr Testosteron zur Schau zu stellen!

Sie machen Witze.

Keineswegs. Änderungen im Alltag stehen unmittelbar bevor. Und genau deswegen habe ich auch den heutigen Thanksgiving-Tag zum „World Oil Peak Day“ ernannt: Wir sollten heute einen Moment innehalten und für die Jahre 1901 bis 2005 danken, als Öl und Erdgas im Überfluss enorme Veränderungen in unserer Gesellschaft ermöglichten. Jetzt aber ist es an der Zeit, dass wir uns der neuen Realität zuwenden. Wer jetzt immer noch glaubt, wir könnten weiterhin unseren Energieverbrauch steigern, dem sei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlers Kenneth E. Boulding zitiert: „Jeder, der glaubt, dass exponentielles Wachstum für immer weitergehen kann in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“

INTERVIEW: BERNWARD JANZING

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