: Glück statt Geld
Da nicht mehr genug Erwerbsarbeit für alle da ist, müssen wir einen erweiterten Begriff von Produktivität entwickeln. Nur so lässt sich wieder Wohlstand für alle schaffen
Zurzeit gilt eine Arbeit als produktiv, die einen Mehrwert erzeugt, der gegen Geld auf dem Markt tauschbar ist. Kurz: Erwerbsarbeit. Arbeit hat also wie ein Kunstwerk vor allem den Wert des Marktpreises.
Das Problem ist nur: In Deutschland leben heute knapp fünf Millionen Menschen, die immer öfter als wertlos betrachtet werden, weil sie nichts produzieren, was Geld bringt. Für sie hat die Politik auch nach dem Regierungswechsel keine Lösung. Aus diesem Grund ist es völlig legitim, ja notwendig, eine Idee zu entwickeln, die eine neue Definition des Mehr-Wertes und der Produktivität etabliert.
Wie wäre es, wenn der Mehr-Wert der Produktion nicht das Geld wäre? Eine Utopie – richtig. Die zu erzielenden neuen Werte könnten Ästhetik, emotionaler Ausgleich, Spiritualität, Glück, Freude sein – kurzum das Wohlbefinden eines größtmöglichen Teils der Menschen. Wie wäre es mit der Steigerung eines gesunden Selbst-Wert-Gefühls oder der Liebesfähigkeit als neues Ziel der Produktion? Zurzeit können sich Erwerbslose nämlich glücklich schätzen, wenn sie es schaffen, trotz der steigenden Verachtung gegenüber ihrem Status sich Inseln der inneren Produktivität zu bewahren.
Der Stoff, aus dem eine neue – nennen wir sie emotionale – Produktivität besteht, ist noch zu definieren. Sicher hat der selbst gebackene Kuchen einen anderen Wert als der Kuchen, den die Konditorei gebacken hat. Und für Kinder fühlt es sich anders an, wenn der Papa selber die Gute-Nacht-Geschichte erzählt, als wenn die bezahlte Erzieherin es tut, so liebevoll sie auch sein mag. In diesem Sinne kann man auch überlegen, welchen Mehrwert Mönche durch ihre Gebete produzieren. Oder Menschen, die sich regelmäßig in die Meditation versinken.
Was sie bewirken, ist sicher ein spiritueller Mehrwert. Es bringt auch kein Geld, wenn jemand betreut und begleitet von liebevollen Menschen stirbt statt einsam und verlassen. Was produzieren Kinder, die dies für ihre Eltern tun? Harte Arbeit ist es auch, wenn jemand sich von seiner Nikotin-, Alkohol- oder Esssucht löst – oder versucht, die Krise seiner Ehe zu überwinden. Cash bringt es nicht, dafür ein neues Lebensgefühl.
Dass Wertschöpfung und Produktivität sich nicht mehr nur um die Erwerbsarbeit drehen können, ahnen viele. Nur wovon sollen Menschen leben, die keine auf dem Markt austauschbaren Werte produzieren?
Es ist ein Hohn, zu antworten, ihre Produktivität sei unbezahlbar – oder sie könnten etwa in Abhängigkeit von Verwandten oder Freunden leben. Das bisher tragfähigere Konzept bieten die Verteidiger eines Grundeinkommens an. Seit rund dreißig Jahren stellen sie immer feinere Finanzierungspläne auf.
Knapp 500 Milliarden Euro würde ein Grundeinkommen in Deutschland kosten, hat Ralf Welter von der katholischen Arbeitnehmerbewegung in Aachen errechnet. Dafür müsste der deutsche Staat eine Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro in Kauf nehmen. Die restliche Finanzierung ergäbe sich aus den gesparten Sozialleistungen und aus dem Umbau des Steuersystems. Die Kosten für das Grundeinkommen lägen also ungefähr in der Höhe der Aufwendungen für das aktuelle Arbeitslosengeld II.
Ein ausreichendes, bedingungsloses Grundeinkommen würden alle Menschen bekommen. Die kostenintensive und erniedrigende Prüfung der Bedürftigkeit fiele weg. Reicher würden die Reichen nicht werden – neue Steuern, der Abbau von Steuervergünstigungen oder die Erhöhung von Steuersätzen würde sie an anderer Stelle treffen.
Anreize zur Arbeit gäbe es durchaus, denn Löhne könnten zum Grundeinkommen addiert werden. Trotz der neuen Steuern würde es sich immer noch lohnen, eine gut bezahlte Arbeit zu haben. Unbeliebte, dreckige Arbeiten müssten jedoch höher bezahlt werden, um attraktiv zu werden.
Gerecht wäre das Ganze, denn die Kluft zwischen Arm und Reich würde sinken. Die Freiheit, mehr Geld durch mehr Arbeit zu verdienen, wäre immer noch da. Ein erweiterter Produktivitätsbegriff würde nicht nur Geld, sondern auch Glück zum Wert definieren – eine neue Art von Wohlstand. Ein ausgebrannter Manager wäre demnach genauso arm wie ein vor seinem Fernseher innerlich erstarrter Arbeitsloser. Aber ein seelisch ausgeglichener Nur-Grundeinkommen-Bezieher könnte sich so reich wie ein Millionär fühlen, der sich freut, über die Hälfte seines Vermögens für das Glück anderer zu schenken.
In monetären Zahlen lässt sich dieser emotionale Mehrwert kaum beziffern. Es ist sicher auch ein Grund, warum die aktuelle Definition des Bruttoinlandsproduktes (BIP) den Wert dieser Produktivität nicht einbezieht. Es fehlen Konzepte, um die Produktivität von emotionalen Arbeiten zu definieren, die unbezahlt sind, weil sie per se nicht verkäuflich sind.
Vielleicht gehört es auch zum Wesen der Menschen, die unentgeltlich arbeiten, dass sie lieber unsichtbar bleiben. Der Stoff des Mehrwerts, den sie erarbeiten, lässt sich schlecht nach außen präsentieren. Diese Produktion entstand bisher im Schatten der geldorientierten Ökonomie.
Dass wir einen neuen Produktivitätsbegriff brauchen, zeigt der immer größer wachsende Berg von Produktionsabfällen, die aus dem aktuellen Wirtschaften entstehen. Der Druck auf Angestellte wächst, die Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Arbeitslose verfallen in Depression, weil sie als nutzlose Schmarotzer abgestempelt werden.
Negativer Stress durch Überforderung, zerstrittene Familien, kaputte Beziehungen, Einsamkeit, Krankheiten, Umweltzerstörung, niedrige Geburtenraten – so sehen stets die Nebenwirkungen einer geldorientierten Wirtschaft aus. Verständlicherweise werden diese Kosten bisher nicht gesamtwirtschaftlich mit einkalkuliert, denn auch sie sind monetär nur äußerst schwer zu bewerten.
Der österreichische Sozialwissenschaftler Manfred Füllsack plädiert für die Anerkennung des Gebrauchswerts mancher privater Tätigkeiten – in Abgrenzung zum marktwirtschaftlichen Tauschwert. Menschen könnten selbst definieren, was für sie nützlich und produktiv ist.
Andere Theoretiker entwickeln lieber eine Vision vom Ende der Arbeit und eine Allergie gegen die Termini Arbeit oder Produktivität. Das Privatleben dürfe man nicht mit solchen kapitalistischen Begriffen vergiften. Aber sie ignorieren, dass es im Privatleben nicht nur Muße und Faulheit gibt.
Zwar geht es hier nicht um Geld, aber durchaus um Anstrengung, daher um Arbeit und Produktivität. Warum sollte man also nicht durch neue wirtschaftliche Inhalte versuchen zu definieren, was ein emotionaler Mehrwert ist? Arbeit bleibt Arbeit, egal ob bezahlt – beziehungsweise bezahlbar – oder nicht. Ein garantiertes Grundeinkommen würde emotionalen Arbeiten mehr Luft und Raum geben. Emotionaler Reichtum könnte besser gedeihen.
GENEVIÈVE HESSE