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Nur der Dialog hilft

Von HEIDE OESTREICH

Nein, Beschneidung finde hier nicht mehr statt, erklärt der Dorfchef mit stolzgeschwellter Brust dem Kamerateam aus Europa. Zwei Minuten später lachen andere Dorfbewohner bitter darüber: Erst vor kurzem seien drei Mädchen heimlich verschleppt und beschnitten worden – und der Chef wisse das durchaus. Diese Szene, kürzlich gefilmt von einem ZDF-Team, illustriert das Hauptdilemma der Beschneidung junger Frauen in einigen Staaten Afrikas. Offiziell ist die genitale Verstümmelung in den meisten Ländern mittlerweile verboten. Inoffiziell geht sie weiter.

Jährlich sind – laut einer neuen Studie von Unicef anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen – drei Millionen junge Frauen weltweit betroffen. Das ist eine Million mehr als bisher angenommen. Vor allem die genauere Datenbasis sei für die neue Zahl verantwortlich, so die AutorInnen. Klar ist aber auch, dass die Zahl der Beschneidung in einigen Ländern trotz Verbots gestiegen ist, etwa in Ägypten, der Elfenbeinküste oder Burkina Faso.

Die Unicef-Studie bewertet deshalb, welche Strategien gegen die Verstümmelung der Genitalien Erfolg versprechen. Dabei ist insgesamt ein Methodenwechsel internationaler Organisationen zu erkennen. Hatten frühe Kampagnen die grausame Prozedur verurteilt und körperliche und psychische Folgen in grellen Farben geschildert, so setzen die Organisationen heute auf Dialog. Es habe wenig Sinn, „Experten“ auszusenden, die durch die Verurteilung der Beschneidung Angst und Schuldgefühle in den Menschen wecken, so heißt es in der Studie. Auch nutze es wenig, einzelne Eltern umzustimmen, wenn die unbeschnittenen Töchter dann keinen Heiratspartner mehr finden.

Erfolg dagegen hatte etwa die Organisation Tostan im Senegal mit einem Projekt, in dem das ganze Dorf weitergebildet wurde. In Klassen diskutierten DorfbewohnerInnen über Menschenrechte, Demokratie, das Geschlechterverhältnis und Gesundheit. Auch Problemlösungsstrategien, Schreiben, Rechnen und Management stehen auf dem Programm. Dabei geht es vor allem darum, einen Diskussionsprozess im Dorf in Gang zu setzen. Auf diese Weise erlangen vor allem Frauen und Mädchen Wissen über ihre Rechte und erproben Strategien, sie durchzusetzen. Ihre Eltern und Großeltern dagegen können die Angst vor dem sozialen Stigma verlieren, wenn die Töchter unbeschnitten sind, weil mögliche Heiratskandidaten auch aufgeklärt sind. Nach einem solchen Programm sank die Rate der Frauen, die ihre Töchter beschneiden lassen wollten, von 70 auf 10 Prozent.

Im Zuge dieser Umstellung von Expertentum auf Selbstermächtigung wurde auch über die Bezeichnung „Genitalverstümmelung“ neu nachgedacht. Beschnittene Frauen lehnten dieses Label, das sie quasi zu Behinderten erklärt, ab. Unicef reagierte: Man verwendet nun zusätzlich wieder das Wort „Beschneidung“.

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