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Archiv-Artikel

Gentrification und Co.

GLOSSAR Ein paar Grundbegriffe des Aufs und Abs in der Stadt

taz-Serie „Soziale Stadt“

■ Das Schlagwort „Gentrifizierung“ ist in aller Munde. Jahre nach der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus wird wieder über Wohnungspolitik und soziale Stadtentwicklung diskutiert.

■ Die taz widmet sich in den kommenden Wochen mit einer Textserie dem Thema „Soziale Stadt“. Wie funktioniert die Gentrifizierung? Und wie kann eine soziale Wohnungspolitik sinnvoll eingreifen?

■ Bereits erschienen ist eine kritische Bilanz der rot-roten Mietenpolitik (19. 12.) sowie ein Text über den Boom der Baugemeinschaften (23. 12.).

■ Teil 4 der Serie wird von den Anfängen der Ostberliner Hausbesetzerbewegung vor genau 20 Jahren erzählen und wie sie die Stadt verändert hat. Der Text erscheint am morgigen Donnerstag.

Im Vergleich zu Geschichte und Geografie ist die Stadtsoziologie eine junge Disziplin. Angefangen hat es in London, wo engagierte Journalisten um die Wende zum 20. Jahrhundert Reportagen über das Elend der Unterschicht verfassten. „Soziologie aus der Erfahrung der Reportage“ nennt das Rolf Lindner in seinem Buch „Die Entdeckung der Stadtkultur“.

Die Vorstellung einer Konzentration verschiedener Milieus im Stadtraum geht auf die Chicagoer Schule der Stadtsoziologie in den 1920er-Jahren zurück. Bis heute lernen Studierende den klassischen Aufbau der Stadt in konzentrischen Kreisen: innen der Central Business District, drum herum die Wohnquartiere der Angestellten und Arbeiter, die sogenannte Transition Zone.

Der Begriff der Gentrification, auf Deutsch auch Gentrifizierung oder Aufwertung, wurde erstmals 1964 von der britischen Soziologin Ruth Glass verwendet. Rekurrierend auf das Wort gentry für Landadel beschreibt Glass den Einfluss von Mittelschichtenmilieus auf die Quartiere der Arbeiterschichten. In Deutschland ist der Begriff seit den 80er-Jahren geläufig.

Eine idealtypische Verlaufsform der Gentrification gibt es nicht, wohl aber verschiedene Etappen, die sich überall ähneln. Am Anfang stehen Arbeiterquartiere und Altbauquartiere mit hohen Leerstandsquoten, in denen Alte, Arbeitslose und Migranten leben. Nach und nach ziehen Studenten und Künstler ein und verleihen den Quartieren ein buntes Flair. Das sind die Pioniere der Gentrification.

Doch dabei bleibt es nicht. Mit den Pionieren wird ein Quartier hip, andere wollen nachziehen. Die Mieten steigen, Kneipen entstehen, teure Geschäfte. Nun kommen die sogenannten Gentrifier – und treiben die Preise erst recht nach oben. Und nicht selten werden dabei die Pioniere verdrängt. Die Karawane zieht weiter.

Neu ist in Berlin die Situation am Hackeschen Markt. Mit Kneipen wie dem „Schwarzenraben“ fallen nun sogar die Orte der Gentrifier der ungebremsten Aufwertung zum Opfer. An ihre Stelle ziehen die Flagship-Stores der Textilketten. Das bunte Viertel wird wieder öde. Die Revolution frisst ihre Kinder.

Eine weitere Besonderheit in Berlin ist die Renaissance der Innenstadt als Wohnort. Inzwischen reagieren auch viele Projektentwickler auf die Bedürfnisse der urbanen Mittelschichtsfamilien. Die homogene Bevölkerungsstruktur und die Alterspyramide bergen aber auch Gefahren. Wenn in zehn Jahren die Kinder ins gangfähige Alter kommen, könnten die Preise bald wieder fallen.

Das Gegenteil von Gentrifizierung heißt im Kauderwelsch der Stadtsoziologen Abandonment. Dieser Absturz ganzer Stadtviertel ist in Berlin in Neukölln, im Wedding oder auch in Spandau zu beobachten.

Typisch für Auf- und Abwertungsprozesse ist ihre Dynamik. Deshalb wird immer wieder darüber gestritten, ob Aufwertungsprozesse wie in Nordneukölln zur Stabilisierung führen oder im Gegenteil sogar zur Verdrängung. UWE RADA