: Kultur des Ressentiments
Die Polizei rüstet im Kampf gegen den Terror auf – mit Islamwissenschaftlern. In zivilen Projekten fehlen sie dagegen. So kann der nötige Dialog mit Muslimen nicht gelingen
Der Dialog zwischen den Muslimen in Deutschland und der Mehrheitsgesellschaft ist in die Krise geraten. Wo die Mehrheit der Deutschen der islamistischen Herausforderung noch vor nicht allzu langer Zeit ignorant bis desinteressiert gegenüberstand, herrscht nun Aufregung. Allerorten wird über Ehrenmorde, gewalttätige Muslime, terroristische Netzwerke und islamisierte Parallelwelten diskutiert.
Angesichts der innenpolitischen Gefahren wird von Publizistik und Politik die Forderung erhoben: Moscheegemeinden, muslimische Organisationen, ja die Muslime ganz allgemein sollten endlich Verantwortung übernehmen und mit staatlichen Behörden kooperieren. Doch sind die Muslime dazu bereit, traut sich in vielen Städten kaum noch ein Politiker, mit Vertretern der Moscheegemeinden zu reden. Sie befürchten, mit den falschen Leuten am falschen Ort an einem Tisch zu sitzen.
Die Moscheevereine gelten als suspekt – egal, ob sie nur den transzendenten Bedürfnissen der Gläubigen dienen oder der politischen Indoktrination. Ganz generell wird die Möglichkeit islamistischer oder gar terroristischer Aktivitäten vermutet.
Dass damit der überwältigenden Mehrheit der Muslime Unrecht angetan wird, scheint nur noch wenige zu stören. Eine bedenkliche Entwicklung. Denn ohne Zusammenarbeit zwischen Politik, Migrantenvertretungen und Organisationen der Muslime wird es keine Integration des Islams und vieler Muslime in Deutschland geben. Genauso wenig sind dauerhafte Erfolge möglich im Kampf gegen islamistische Scharfmacher und in der Gleichstellungspolitik für Frauen und sexuelle Minderheiten in den Communities.
In vielen Städten überlässt man die Beschäftigung mit dem islamischen Gemeindeleben inzwischen fast vollständig den Polizei- und Sicherheitsbehörden. Und die haben seit 2001 personell kräftig aufgerüstet. Das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter sowie die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder haben in den letzten vier Jahren über 300 Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler eingestellt. Dazu kommen in den Polizeidienststellen der Städte zahlreiche so genannte Islambeauftragte, die für das „islamische Milieu“ zuständig sind.
Vor dem Hintergrund eines weltweit agierenden und brandgefährlichen Terrorismus, der sich auf den Islam beruft, mag dies beruhigen. Zum Skandal wird die Schwerpunktsetzung jedoch, wenn gleichzeitig für die partnerschaftliche Einbindung der Moscheegemeinden in das kommunale Leben oder den unterentwickelten interkulturellen und interreligiösen Dialog in den Städten kaum Mittel zur Verfügung stehen.
Wer hier nach gut ausgebildeten Islamwissenschaftlern sucht, wird nicht fündig. Nur ganz selten findet man professionell moderierte Netzwerkprojekte, in denen alle Akteure aufgleicher Augenhöhe die vielfältigen Problemstellungen in den Wohnquartieren bearbeiten. Die Integration der Moscheegemeinden in das normale kommunale Leben, also die Zusammenarbeit von Schulen, Agenturen der Jugendhilfe, säkularen Migrantenorganisationen und Moscheevereinen, ist ein randständiges Thema, für das kaum Geld ausgegeben wird. Natürlich gibt es bundesweit jede Menge wohlformulierte integrationspolitische Absichtserklärungen. Aber sie sind in der Regel das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.
Die Behandlung der Moscheegemeinden unter ausschließlich sicherheitspolitischen Aspekten ist diskriminierend. Denn immerhin verfügt die Gesellschaft bis heute über keine gesicherten Erkenntnisse über islamistische oder antisemitische Einstellungen bei Muslimen, die dieses Vorgehen legitimieren würden. Auch weiß sie nur wenig über die Werte und Weltbilder der viel gescholtenen muslimischen Jungmänner, denen im Alltagsdiskurs alles Mögliche zugeschrieben und zugetraut wird.
Obwohl seit Jahren von unterschiedlicher Seite groß angelegte, aussagekräftige empirische Untersuchungen gefordert werden, liegen diese bis heute nicht vor. Die Selbstverständigung der Gesellschaft über ihr Verhältnis gegenüber dem Islam und seinen Institutionen in Deutschland und der wichtige Kampf der Zivilgesellschaft gegen den Islamismus basieren zum Großteil auf Mutmaßungen und diffusen Lageberichten der Sicherheitsbehörden. Für eine erfolgversprechende Strategie, die gleichzeitig den Islam zu integrieren und den Islamismus zu bekämpfen hat, ist das dann doch zu wenig. Auch im Vorfeld des Terrorismus lässt sich so nicht viel bewirken.
Der Dialog zwischen Gesellschaft und der islamischen Religionsgemeinschaft in Form von Moscheevereinen kann und darf nicht den Dienststellen der örtlichen Polizei überlassen werden. Dagegen spricht das in der Verfassung festgeschriebene Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates, das die Religionsgemeinschaften vor Eingriffen des staatlichen Zwangsapparates schützt.
Darüber hinaus wird durch die Einrichtung von polizeilichen Islambeauftragten der Eindruck erweckt, es gäbe einen Zusammenhang von islamischer Religion und Kriminalität. Das ist diffamierend und absurd zugleich. Niemand käme bei den Innenbehörden angesichts der ausufernden Gewaltkriminalität russischer Zuwanderer auf die Idee, bei den Polizeidienststellen russisch-orthodoxe Beauftragte zu ernennen.
Mit mehr als drei Millionen Muslimen ist der Islam inzwischen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Die Moscheegemeinden haben ein Recht darauf, dass die Sonderbehandlung, die auf diffusen Verdächtigungen beruht, beendet wird. Auch sie haben ein Recht auf Normalität, und damit ein Anrecht auf zivile anstatt polizeiliche Ansprechpartner in den Kommunen. Dies schließt nicht aus, dass der eine oder andere Moscheeverein tatsächlich ein Fall für die Sicherheitskräfte ist.
Das es auch anders gehen kann, hat Essen-Katernberg demonstriert. Der Stadtteil ist alles andere als eine Idylle. Seit der Schließung der Zeche Zollverein im Jahr 1986 wird das Viertel in der Agenda der Städteplaner als ein Sozialraum mit „besonderem Erneuerungsbedarf“ geführt. Diese euphemistische Beschreibung steht für schlechte Bausubstanz, hohe Langzeitarbeitslosigkeit und einem hohen Migrantenanteil. Seit Mitte der Neunzigerjahre stieg die Kriminalität dramatisch an.
Als Reaktion auf diese Entwicklung organisierte die Stadt eine „Sozialraum-Konferenz“, in der die Fachämter der Stadt, die Träger der Jugendhilfe und Vertreter der Polizei quartierbezogene Lösungsansätze entwickeln sollten. Als wichtige Ansprechpartner wurden die Moscheevereine einbezogen. Binnen weniger Jahre entwickelte sich eine vorbildliche Zusammenarbeit, die mit der tatkräftigen Hilfe eines libanesischen Imams dazu führte, dass die Konflikte und Straftaten – darunter auch innerfamiliäre Gewalttaten – erheblich zurückgingen.
Der Dialog in Deutschland braucht wieder mehr Offenheit und Vernunft. Mit einer Kultur des Ressentiments und des Verdachts ist keine Gesellschaft zu machen. MICHAEL KIEFER/EBERHARD SEIDEL