John Maus' neues Album: Schonungslose Selbstzensur

John Maus neues Album "We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves" ist so hemmungslos aus Popabfall zusammengefleddert, dass es schon wieder eigenwillig klingt.

Nicht ganz einfach, den Posterboy des Hipster-Pops zu erfassen. Bild: united federation of planet

Wo soll man anfangen bei einem Typen wie John Maus? Wie kriegt man diesen Popstar neuer Ordnung, der in Los Angeles Musik studiert hat, in Austin, Texas, lebt und in Hawaii Philosophie doziert, nur zu fassen? Einen umwerfend smarten und eloquenten Anfang-Dreißiger, der sein eigenes Schaffen mit Bezügen zu dem französischen Theoriestar Alain Badiou genauso erklären kann wie mit einem Bekenntnis zum käsigen Synthiepop von Alphaville? Der auf dem Gebiet der klassischen Musik genauso bewandert ist wie im Feld der Outsider-Musik. Der sich etwa als Kenner der Space Lady hervorgetan hat, einer Akkordeon spielenden Straßenmusikerin, die stets einen Wikingerhelm trug und als eine der bizarrsten Randnotitzen aus dem Mülleimer der Popgeschichte gilt.

Dass man nicht der Einzige ist, der sich schwertut, den neuen Posterboy des Hipster-Pops zu erfassen, das zeigt schon ein kurzer Streifzug durch die Blogosphäre. Wahlweise wird John Maus dort als führender Vertreter eines seit kurzem rumorenden Gothic-Revivals einsortiert, oder als hemmungsloser Synthie-Kitsch-Apologet und Retro-Fanatiker. Bezüge zu Achtziger-Pop-Bands wie den Associates oder New Order werden genauso hergestellt wie zum obskuren Vorreiter der Lo-Fi-Bewegung, R. Stevie Moore.

Und aus diesem sonoren Timbre in Maus Stimme, klingt da jetzt eher Ian Curtis oder doch Nick Cave durch? Im April trat John Maus im Berliner Theater HAU auf, um sein nun erschienenes Album "We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves" vorzustellen. Auch damals war schnell überfordert, wer das Dargebotene in typischer Popmusikrezeptionsmanier ordnen wollte. Man hatte tatsächlich das Gefühl, sich weniger auf einem Popkonzert zu befinden, wo der Zugang im Normalfall ja eher ein unmittelbarer ist, als auf irgendeiner Kunstveranstaltung, bei der man noch unentschieden ist, ob man einfach nur gerade nicht die richtigen Schlüssel zur Hand hat, um die Codes der Performance zu erkennen. Oder, ob man der Einfachheit halber beschließen soll, die Veranstaltung für schlicht beknackt zu halten.

Bäder aus Synthieklängen

Dieser Schwebezustand hielt sich das ganze Konzert über, was schon faszinierend genug war. Vor allem weil es die Musik von John Maus war und nicht das Drumherum, was einen so irritierte. Die Show war schlicht und verständlich: John Maus verausgabte sich auf der Bühne und gab die Frontsau. Das Geisterhafte ging allein von seiner Musik aus. Von der düsteren Stimme, die in Bäder aus Synthieklängen getaucht wurde. Ihr Wabern erinnert an die schrecklichsten Geschmacksverirrungen der Achtziger. Aber genauso haben sie Reminiszenzen an die aufregendsten elektronischen Experimente in derselben Ära.

Die Assoziationen bei den neuen John-Maus-Songs sind zahlreich, aber man bekommt sie einfach nicht geordnet. Jedes seiner Stücke deutet seinen Hitcharakter nur an und man wünscht sich schon die nächste Party, auf der man nur zu so einer Musik tanzen darf. Doch all diese potenziellen Hits werden noch vor der Entfaltung einer gewissen Radiotauglichkeit mit grotesken Halleffekten unterlegt und so zu einem Klangbrei verfremdet. Einer umwerfenden Wall Of Sound, die einen unwillkürlich nach Kopfschmerztabletten verlangen lässt.

Beim Hören von "We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves", dem nunmehr dritten Album von John Maus, hat man das Gefühl, dass hier jemand angetreten ist, unsere Vorstellung einer halbwegs geordneten Popgeschichtsschreibung endgültig zu erschüttern. Die Grenzen zwischen gutem und schlechtem Geschmack für immer zu schleifen. Mainstream und Avantgarde nicht mehr auseinanderzudividieren, sondern zusammenzudenken. Ganz so, als sei John Maus angetreten, all die Versprechen der Postmoderne wirklich wahr werden zu lassen. John Maus ist einer der Neusortierer des Poparchivs.

Genau wie der mit seinem an den Bee Gees orientierten Lo-Fi-Pop bekannt gewordene Kalifornier Ariel Pink, der ein guter Freund von John Maus ist. Maus hat eine Zeit lang sogar in der Begleitband von Ariel Pink gespielt und war mit ihm auf Tour. Ariel Pink und John Maus haben das, was der amerikanische Literaturtheoretiker Harold Bloom "Einflussangst" nennt, nicht bloß überwunden, sondern sie haben daraus eine Art "Einflussobsession" gemacht. "Fürchte dich nicht mehr davor, so zu klingen wie andere", so lautet ungefähr ihr Credo, "sondern klinge nach so vielen anderen, bis du am Ende nach dir selbst klingst." Wie gut Maus dieses Credo umgesetzt hat, beweist "We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves" eindrucksvoll.

Die Musik auf dem Album wächst beim wiederholten Hören. Weil man zu Beginn noch damit beschäftigt ist, einen bestimmten Basslauf als Joy-Division-Zitat zu definieren. Weil man noch unschlüssig ist, zu welchem Film von John Carpenter dieses oder jenes Synthiegeklimper am besten passen würde. Und weil man nicht weiß, ob die Kirchenorgel, die man jetzt gerade hört, eher an Bach oder doch an Progrock erinnert. Irgendwann aber stellt man sich all diese Fragen nicht mehr, man lässt los, begibt sich völlig unbefangen in diese eigentümliche Referenzhölle. Und hört nur noch unverschämt gute Popmusik.

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