: Hohe Hürden für Dauerhaft
Wer seine Strafe abgesessen hat, muss nicht unbedingt freikommen: Ein Gericht kann nachträgliche Sicherungsverwahrung anordnen. Doch der Bundesgerichtshof hat nun in einem Grundsatzurteil strenge Voraussetzungen dafür festgelegt
VON CHRISTIAN RATH
Der Bundesgerichtshof (BGH) will sicherstellen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur äußerst selten verhängt wird. In einem Grundsatzurteil stellte er gestern hohe Hürden für diese sehr einschneidende Präventivmaßnahme auf. Im Fall eines mehrfach vorbestraften Einbrechers aus Gera lehnte er die nachträglich Sicherungsverwahrung ab.
Der heute 30-jährige Mann war 1998 wegen schwerem Raubes zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Auf die Anordnung von Sicherungsverwahrung hatte das damalige Strafgericht verzichtet. Kurz vor Haftende beantragte dann aber die Staatsanwaltschaft, dass der Thüringer nicht entlassen wird, sondern doch in Sicherungsverwahrung bleibt – bis er nicht mehr gefährlich ist. Das Landgericht Gera gab dem Antrag statt, doch der Bundesgerichtshof ordnete nun die Freilassung des Mannes an.
Die Möglichkeit, Sicherungsverwahrung noch während der Haftzeit zu beantragen, wurde erst 2004 ins Strafgesetzbuch eingeführt. Vorher gab es entsprechende Regelungen nur in einzelnen Landesgesetzen. Doch Anfang 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Länder für unzuständig und ordnete die Kompetenz dem Bund zu.
Laut Gesetz ist eine nachträgliche Sicherungsverwahrung dann möglich, wenn erst in der Haft neue Tatsachen bekannt werden, die die fortdauernde Gefährlichkeit eines Straftäters belegen. Der BGH legte diese Bestimmung nun streng aus, denn der Gesetzgeber habe „nur eine geringe Anzahl denkbarer Fälle“ für die nachträgliche Sicherungsverwahrung gesehen.
Im Fall des Einbrechers aus Gera, es war die erste nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung in Thüringen, hatte der BGH einiges auszusetzen. So sei die Drogenabhängigkeit und die „antisoziale“ Verhaltensstörung des Mannes keine neue Tatsache, da sie schon beim Strafurteil 1998 bekannt waren. „Die nachträgliche Sicherungsverwahrung darf nicht der bloßen Korrektur rechtskräftiger Urteile dienen“, erklärte die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan.
Andere Vorwürfe gegen den Mann aus Gera waren zwar tatsächlich neu, wurden vom BGH aber nicht als „erheblich“ eingestuft. So genüge weder der Widerstand gegen eine Alkoholkontrolle in der Haftanstalt noch das Auffinden von Messern und anderen verbotenen Gegenständen in der Zelle. Dass die Gefangenen unerlaubte Objekte in ihrem Haftraum verstecken, sei zu „weit verbreitet“, um daran eine so schwere Rechtsfolge wie die unbefristete Sicherungsverwahrung zu knüpfen, argumentierte Rissing-van Saan.
Der BGH setzte damit seine restriktive Linie fort. Erst kürzlich hatte er entschieden, dass die bloße Verweigerung einer Therapie in der Haft nicht reiche, um nachträglich Sicherungsverwahrung anzuordnen.
Die Zahl der Straftäter, die in Sicherungsverwahrung sitzen, ist in den letzten Jahren zwar stark gestiegen, allein in den letzten zwei Jahren von 310 auf über 360 Gefangene. Darunter sind jedoch nur eine Hand voll Fälle, in denen die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet wurde. Meist wurde diese nachträgliche Anordnung von den Gerichten aufgehoben. Verglichen mit den über 60.000 Strafgefangenen und den 20.000 Untersuchungshäftlinge ist aber auch die Sicherungsverwahrung noch kein Massenphänomen.