: „Kioto rettet das Klima nicht“
MODERATION NICK REIMER
taz: Sommerhochwasser in Bayern, Dürre im Amazonasbecken, immer desaströsere Hurrikane – Herr Meller, Sie sind Cheflobbyist der deutschen Stromindustrie: Wie tief stecken wir im Klimawandel?
Eberhard Meller: Das ist eine Jahrhundertfrage. Wenn wir genau wüssten, wie Verursacherketten tatsächlich funktionieren, wäre Politik sehr einfach. Die Wissenschaft liefert Anhaltspunkte dafür, dass diese Wetterextreme am Ende menschengemacht sind.
Lutz Wicke: Anhaltspunkte? Wir erleben heute exakt das, was Wissenschaft seit 15 Jahren als mögliche Konsequenzen des Klimawandels aufzeigt. Übrigens scheinen manche Stromkonzerne weiter zu sein als Ihr Lobbyverband, der VDEW, der Verband der Elektrizitätswirtschaft.
Meller: Wie meinen Sie das?
Wicke: Während Sie zaudern, haben andere den Klimawandel längst als Faktum akzeptiert. Nehmen Sie zum Beispiel den Energieerzeuger Vattenfall. Der investiert jetzt 40 Millionen Euro in das erste so genannte CO2-freie Kraftwerk. Ein großer Durchbruch – und eigentlich das, was ich von verantwortungsvoller Energiewirtschaft erwarte.
Meller: Sie tun ja so, als setzten sich die deutsche Elektrizitätswirtschaft und ihr Verband erst seit neuestem mit dem Klimaschutz auseinander. Das stimmt nicht. Schon Mitte der 90er hat die deutsche Energiewirtschaft versprochen, bis 2012 ihren Kohlendioxidausstoß um 12 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Wir stellen uns dieser Verantwortung: Wir werden unser Versprechen einlösen!
Wicke: Dank des Ostens: Dort ist die Industrie zusammengebrochen, die Kraftwerksstruktur wurde komplett erneuert.
Herr Wicke, Sie sind ein konservativer Energiepolitiker. Der VDEW schießt ständig gegen die Ökosteuer, gegen den Emissionshandel, gegen die erneuerbaren Energien. Herr Mellers Verband ist nicht gerade Vorreiter der Klimapolitik.
Wicke: Das stimmt. Dabei könnte die deutsche Energiewirtschaft sich auf Jahre hinaus Wettbewerbsvorteile sichern, weil absehbar ist, dass CO2-intensive Produktion teurer wird.
Die Vorschläge Ihres Verbandes, Herr Meller, zu den erneuerbaren Energien sind etwa in Italien völlig gescheitert. Der VDEW kann Windenergie kaum lieben: Sie vertreten Unternehmen, denen die regenerativen Energien jedes Jahr 1 Prozent Marktanteil abjagen.
Meller: Das behauptet die Windkraftbranche. Die Praxis ist anders. Die Dena, die unabhängige Deutsche Energie-Agentur, hat ausgerechnet, dass im Jahr 2015 Windkraftwerke mit einer Leistung von 36.000 Megawatt in Deutschland stehen werden. Wind weht aber nun mal nur, wenn er will. Wegen dieser zufälligen, nicht planbaren Verfügbarkeit des Rohstoffs müssen wir fossile Ersatzkraftwerke bauen, mit Kohle oder Gas betrieben. Deswegen können Windräder 2015 nur ein Sechstel der fossilen Kraftwerke ersetzen, so die Dena. Das ist in der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln: Windenergie spart keine Kohlekraftwerke.
Was also wollen Sie an der Förderung erneuerbarer Energie ändern?
Meller: Das aktuelle Fördersystem für diese Energien ist zwar effektiv, was die Quantität betrifft. Aber es ist nicht effizient – und eine große Belastung der Volkswirtschaft. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gelingt es einfach nicht, zum Beispiel Windstrom marktfähig zu machen. Dem Windkraftbetreiber kann die Marktlage völlig egal sein, er hat per Gesetz eine Abnahmegarantie. Würde er sich aber zum Beispiel mit einem Biomasseproduzenten zusammentun, könnte er kontinuierlich Strom einspeisen: Bläst der Wind mal nicht, speist das Biomassekraftwerk mehr ein. Erst solch intelligente Lösungen sparen tatsächlich Kraftwerksleistung! Deswegen brauchen die Anbieter von erneuerbarer Energie Anreize, dass sie ihr Produkt vermarktungsfähig machen.
Wicke: Fakt ist, dass eine klimaverträgliche Energieversorgung der Welt dauerhaft nur durch eine Kombination gesichert werden: regenerative Energiegewinnung einerseits und andererseits kohlendioxidfreie Kraftwerke. Dafür muss es einen weltweiten Preis für Kohlendioxidverschmutzungsrechte geben: Wer Kohlendioxid in die Luft bläst und so dem Klima schadet, muss dafür zahlen. Wer Kohlendioxid einspart, kann seine Verschmutzungsrechte verkaufen. Wer eine neue Anlage bauen will, muss Verschmutzungsrechte kaufen. Der Handel läuft über so genannten Zertifikate. Führende Manager – auch von Eon und Vattenfall – fordern mittlerweile, Energie teurer zu machen. Wer die Atmosphäre mit einer Tonne Kohlendioxid verpestet, sollte 30 Dollar für dieses Recht zahlen. Nur so wird es gelingen, den kohlendioxidfreien Kraftwerken zum Durchbruch zu verhelfen. Den genannten Managern ist klar: Ohne diesen Preisdruck kollabiert das Klimasystem.
Meller: Wie Preiseffekte wirken, sieht man gerade in Deutschland: Der Strompreis steigt auch, weil wir genau das Zertifikatssystem haben, das Herr Wicke fordert! Und, was passiert: Die deutsche Stromwirtschaft steht nahezu täglich als geldgierig am öffentlichen Pranger.
Die arme gescholtene Stromwirtschaft! Der Staat hat Ihnen die Zertifikate doch kostenlos zugeteilt. Herr Wicke, zocken uns die Stromkonzerne ab?
Wicke: Den Fehler hat ja nicht die Stromwirtschaft gemacht, sondern die Politik. Statt die Zertifikate kostenlos zu verteilen, hätten sie versteigert werden müssen.
So wie das jetzt gelaufen ist, zahlt also der Stromkunde die Innovation der Konzerne?
Wicke: Fakt ist, dass die deutschen Stromkonzerne Milliarden Euro durch die kostenlose Zuteilung bekommen haben. Das darf es bei der nächsten Handelsperiode ab 2008 nicht mehr geben! Da muss der Staat diese Milliarden einnehmen – und an alle Verbraucher zurückgeben, die die höheren Strompreise zahlen.
Meller: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen. Die kostenlose Zuteilung war deshalb berechtigt: Insgesamt wird die deutsche Stromwirtschaft bis 2020 etwa 40 Milliarden Euro allein in effizientere und damit klimafreundlichere Kraftwerke investieren.
Wicke: Die Konzerne erneuern ihren Kraftwerkspark doch nicht primär aus Klimagründen! Die wollen Gewinn machen. Und effizientere Kraftwerke machen effizienter Profit.
Muss die neue Regierung aus Sicht des Klimaschutzes die Ökosteuer fortschreiben?
Wicke: Vom Grundgedanken her macht Schwarz-Rot jetzt dasselbe wie Rot-Grün seinerzeit mit Einführung der Ökosteuer: die Lohnnebenkosten durch Steuererhöhungen senken. Das Dumme an der Erhöhung der Mehrwertsteuer ist, dass sie keinerlei ökologische Lenkungswirkung hat. Auch die Ökosteuer hat sie nur marginal: Durch die vielen Ausnahmeregelungen sind diejenigen, die am meisten Kohlendioxid erzeugen, am wenigsten betroffen. Eine Lachnummer!
Meller: Sie denken zu kurz. Dem Weltklima ist es egal, ob das schädigende Kohlendioxid in Deutschland oder anderswo produziert wird. Wenn wir aber dafür sorgen, dass stromintensive Industrien den Standort Deutschland verlassen, wälzen wir unsere Verantwortung fürs Klima nur auf ärmere Länder ab. Und hier stellt sich auch eine Systemfrage: Ist es möglich, ohne Produktion einen Industrie- und Sozialstaat aufrechtzuerhalten? Ich glaube nicht.
Wicke: Fakt ist, dass die Welt nach allen Erkenntnissen trotz des Klimaschutzabkommens von Kioto aus dem Jahr 1997 im Jahr 2030 nicht weniger, sondern 90 Prozent mehr Kohlendioxid ausstoßen wird als 1990. Wenn wir so weitermachen, laufen wir sehenden Auges in die Klimakatastrophe.
Herr Meller, folgt man Professor Wicke, wird jetzt in Montreal also auch der deutsche Sozialstaat verhandelt. Was muss der Klimagipfel leisten?
Meller: Der Gipfel muss sich fragen, ob der Kioto-Weg – also die Definition von nationalen Minderungszielen – der richtige ist. Erstens bleiben die größten Emittenten wie China oder die USA vom Kioto-Regime unberührt. Zweitens schaffen viele der Staaten, die sich selbst verpflichtet haben, ihre Ziele nicht. Daraus ergibt sich für mich: Es muss ein System entwickelt werden, das auch Länder wie Indien, die USA oder Australien einbezieht – etwa durch einen weltweiten Handel mit Kohlendioxid-Zertifikaten.
Wicke: Da haben Sie Recht! Das europäische Klimahandelssystem muss auf die ganze Welt übertragen werden. Kohlendioxid zu emittieren muss mindestens 20 Euro pro Tonne kosten. Das macht zweitens regenerative Energiegewinnung konkurrenzfähig und verhilft ihr weltweit zum Durchbruch. Und drittens schafft das den hinreichenden Ansatz, fossile Energiegewinnung auf CO2-freie Techniken umzustellen. Genau das fordert die CDU/CSU mit ihrem Kioto-PLUS-System.
Was erwarten Sie von der deutschen Politik?
Wicke: Die deutsche Politik muss noch einmal über unsere Atomkraftwerke nachdenken: Es macht heute keinen Sinn, bestehende emissionsfreie Atomkraftwerke, die definitiv sicher sind, abzuschalten und dafür Kohlekraftwerke zu bauen. Egal wie effizient die heute effizientesten sind, sie emittieren 50 Jahre lang CO2. Das ist in der Klimasituation nicht verantwortbar. Lieber die Atomkraftwerke länger laufen lassen und vertraglich festschreiben, dass die Nachfolgeinvestitionen CO2-frei sind.
Meine Herren, reichlich wenig Streit am Ende unseres Streitgesprächs!
Meller: Vielleicht hat Herr Wicke erkannt, dass uns viel zu oft der schwarze Peter zugeschoben wird.
Wicke: Wenn der Verband der Elektrizitätswirtschaft fortschrittlich ist, müssen wir nicht streiten. Dass Wirtschaft wesentlich progressiver sein kann als die Klima- und Umweltschützer, haben doch die vorhin erwähnten Manager bewiesen. Während nämlich Politik und Klimaschützer noch jede neue Unterschrift zum Kioto-Protokoll feiern, haben Eon oder Vattenfall längst begriffen: Ein Selbstverpflichtungssystem à la Kioto kann das Weltklima nicht retten. Wenn das überhaupt noch möglich ist, dann nur auf marktwirtschaftliche Art und Weise. Montreal muss jetzt den Wechsel einleiten: Mit der „Tropfen auf den heißen Klimastein“-Politik muss ab 2012 endgültig Schluss sein!