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Archiv-Artikel

Die Begriffe haben sich überholt

Theater ist Theater. Die Stanzen „Off-Theater“ und „Freies Theater“ bezeichnen nur noch ein Finanzierungsmodell

Die wichtigsten Gespräche über das Leben finden am Tresen statt. Dem Kneipensterben zum Trotz bestätigte sich das auch bei den „Impulsen 2005“, der Werkschau ausgewählter Inszenierungen deutsch-sprachiger Freier Theater, veranstaltet vom NRW-Kultursekretariat in Wuppertal. Zwar stand die ovale Theke nur auf einer so genannten „freien“ Bühne, am Wahrheitsgehalt des ersten Satzes änderte das aber nichts. In „Delirium“ lallen sich die Protagonisten ihr über-flüssiges Leben um die Ohren, quetschen das Letzte aus vagen Beziehungen oder versuchen einfach nur für die letzte Zigarette offenes Feuer zu erhaschen. Die Inszenierung der Theatergruppe Plasma aus Zürich ist zeitgenössisches Theater mit präzisem Time-Code, mit ungewöhnlicher Präzision der Darsteller, mit schlüssigem Beweis für die Möglichkeit eines performativen Einsatzes von Live-Musik auf einer Theater-Bühne. Nüchtern betrachtet ist „Delirium“ Theater, bei dem sich die Schubladen-Begriffe „Frei“ oder „Off“ ad absurdum führen.

Gutes Theater kann überall stattfinden. „Delirium“ beispielsweise würde jede Stadttheater-Bühne aufwerten. Andersherum erreichen manche Ergüsse hoch subventionierter Regisseure dort nicht mal Schultheater-Niveau. Aber das nennt man dann „gescheitert“, kann ja passieren, ist ja Kunst und nimmt es vom Spielplan. An der finanziellen Absicherung ändert das natürlich nichts und nur dieser Faktor unterscheidet die Abteilungen „Frei“ und „Off“ von städtischen Bühnen, denn jedes Scheitern einer „Off“-Produktion kann das Aus der Gruppe bedeuten, im schlimmsten Fall Schulden bis ans Lebensende.

Ist Jugendtheater immanent freies Theater? Sind junge Bühnen an Stadttheatern auch schon „Off“. „Ich bin lieber gleich glücklich als in 25 Jahren“ sagt die junge Agnes in „Fucking Amal“ zu ihrem Vater. Sie liebt eine Mitschülerin, kriegt in der Kleinstadt, wo sie mit ihren Eltern hinziehen musste, kein Bein auf die Erde. Der Weltschmerz ist allgegenwärtig, alle stampfen mit ihren 16 Jahren längst über Massen von Plüschtieren, mit denen die Bühne übersäht ist. Das Stück ist eine Inszenierung vom „jungen Theater Basel“ und die Bühnenfassung eines hoch gelobten schwedischen Films von Lukas Moodysson. Die jugendlichen (Off-) Darsteller sind authentisch und rocken die Bochumer Kammer auf Schweizerdeutsch.

Die Begriffe verschwimmen also, die Auswahl für die „Impulse“ unter dem Begriff „Freie Bühnen“ erscheint manchmal willkürlich. Die Jury sucht nach eigenem Selbstverständnis Produktionen, die für die Vielfalt, die Eigenart und den Qualitätsstandard der Off-Theaterszene und ihrer Koproduktionen stehen. Vielleicht sollte unter der neuen Regie von Tom Stromberg vor den „Impulsen 2007“ ein neuer Diskurs stattfinden und neue Kriterien erarbeitet werden. Vielleicht sollte man die Begriffe aber auch einfach abschaffen und die Theaterformen nur nach der Art ihrer Finanzierung unterscheiden. PETER ORTMANN