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Archiv-Artikel

Gammelfleisch als Rache

Längst schon ist der Endverbraucher für den Bauern und die auf ihm sattelnden Veredelungsbetriebe zum Feind geworden. Nur die Angst vor dem Gesetz hält sie davon ab, ihn vollends zu vergiften

VON HELMUT HÖGE

„Das fehlte uns gerade noch,“ stöhnte man in Eberswalde, wo Investoren eine Schweinemastanlage planen – größer noch als die zu DDR-Zeiten, die damals schon die ganze Umgebung mit Gülle verseucht hatte. Nach der Wende wurde sie ebenso wie viele andere aufgrund von Anwohnerprotesten geschlossen. Aber nun hat die Schaffung von Arbeitsplätzen wieder Vorrang vor Lebensqualität!

Um diese geht es aber gerade bei dem verdorbenen Fleisch, das über die Verarbeitungs- und Lieferbetriebe in den Handel gelangte. Fürderhin will man die Lebensmittelkontrollen verstärken: Eine andere systemimmanente „Lösung“ gibt es auch nicht. Jeder, der einmal in die Landwirtschaft reingerochen hat, weiß jedoch, dass nur eine gänzlich andere Wirtschaftsweise den Wahnsinn der wissenschaftlich-industriellen und immer kostengünstigeren Lebensmittelherstellung stoppen kann. Längst schon ist der Endverbraucher für den Bauern und die auf ihm sattelnden Veredelungsbetriebe zum Feind geworden. Nur die Angst vor der Übertretung von Vorschriften hält sie davon ab, ihn vollends zu vergiften – mit lieblos hergestellten Massenprodukten. Der Bauer ist zum elenden Heimarbeiter geworden – im Sold von Agrarindustrie und -bürokratie. Und die Schlachthöfe, Wurstfabriken, Großbäckereien und Molkereien forcieren diesen „Sachzwang“ noch, indem sie, um konkurrenzfähig zu bleiben, ebenfalls immer mehr rationalisieren – und effektivieren. Da wird dann eben eine angegammelte Partie nicht kostspielig als Sondermüll entsorgt, sondern unter die Auslieferungsware verteilt. So wie der Bauer seine übrig gebliebenen Zentner quecksilbergebeiztes Saatgut einfach unter den für die Mühle bestimmten Weizen mischt oder den verkauften Schweinen noch mal kurz vor dem Verladen eine „Stabilisierungsspritze“ verpasst.

Das Elend geht dann so weiter, dass die Lebensmittel verarbeitende Industrie den Gesundheitsbehörden (und nicht umgekehrt) vorschreibt, in welcher Höhe die Giftbeimengungen produktionsbedingt notwendig sind. Und in den raffinierten Auslagen der Supermärkte schließlich wird das Tierische an den Waren vollends eliminiert, bis hin zur Thekenbeleuchtung, die das rohe Fleisch immer rosig frisch aussehen lässt.

Dabei haben’s unsere Landwirte in ihren vollklimatisierten 180-PS-Treckern noch gemütlich – im Vergleich etwa zu den arabischen Lohnsklaven, die in den andalusischen Gewächshäusern unser Gemüse in einer Wolke von chemischem Gift und rassistischer Galle produzieren müssen, oder den Indiofrauen, die in Kolumbien all jene Rosen mit Pestiziden und Herbiziden umnebeln, die hier von Asylbewerbern nächtens angeboten werden. Bei dem jetzigen Skandal in 50 Fleischlieferbetrieben handelt es sich mitnichten um einige schwarze Schafe in einer „Branche“ – im Gegenteil, die Umettikettierungen haben System: „Dass weder eine Fleischmafia noch ein übergreifendes Netzwerk dahintersteckt, macht das Ausmaß des Lebensmittelskandals umso bedenklicher“, meint der Spiegel. Man könnte die „betroffenen Betriebe“ sogar für ihre Völkerfreundschaft loben, denn bisher wurde solch verdorbene Ware auf den außereuropäischen Märkten, z. T. als Hilfsgüter deklariert, entsorgt.