: Vom Boden gekratzt
AUSSTELLUNG Die Weserburg zeigt neue Arbeiten des Künstlers Gerd Rohling, der vor seinem Kunststudium einst von Bremerhaven aus als Steward in die Welt hinausfuhr
VON RADEK KROLCZYK
Das erste, was ich sehe, ist ein Tisch mit einem Computermonitor darauf. Kein strom- und platzsparender Flatscreen, sondern so ein altes klobiges Röhrengerät mit ein paar bunten Aufklebern am Rand. Davor finde ich eine benutzte Kaffeetasse und eine zerlesene, aber immerhin aktuelle Ausgabe des Weserkuriers. Das sieht irgendwie nach Interaktion aus, also setze ich mich hin. Der Bildschirm des Monitors ist grün, sonst ist nichts zu sehen, wo ist die Tastatur? Aha, sie liegt unter dem Tisch, das Kabel ist verknotet. Ich ordne also das Kabel, lege die Tastatur auf den Tisch, drücke Tasten, nichts geschieht. Wahrscheinlich sind sie nicht zum Drücken.
Ich entdecke inzwischen, dass zu dem grünen Monitorbild noch eine grün gefärbte Satellitenschüssel gehört – die muss also grün empfangen und auf den Monitor übertragen, klar. Gleich gegenüber des Computerplatzes hängt eine Installation an der Wand, das Modell einer Wohnung, zwei Zimmer, darin ein Fernseher mit grünem Bildschirm, ein Bild, auf dem ein grüner Nebelschleier liegt und eine Flasche mit einer grünen Flüssigkeit, wahrscheinlich Absinth. Auch hier wieder: der grüne Satellitenempfänger. Macht der, dass alles grün wird? Ist das giftig? Versetzen grüner Alkohol und grünes Fernsehprogramm die Menschheit in eine Art grüne Trance? Ist das grün vernebelte Miniaturbild eine Metapher für die grüne Vernebelung des Bewusstseins? Ein emeritierter Kunsthistoriker kommt dazu. „Mit so etwas kann ich nichts anfangen“, sagt er. Mir hilft das nicht weiter. Bevor er geht, zeigt er mir die Arbeit, die er am wenigsten mag: eine blaue an die Wand montierte Kunststofftonne.
Wo befinde ich mich? „Inside - Outside“ ist der Titel einer Ausstellung neuerer Arbeiten des Künstlers Gerd Rohling, die gerade in der Weserburg zu sehen ist. Ich bin jetzt „Inside“ und muss an „Outside“ denken: „Outside“ hat vorletzten Sommer zum 20. Geburtstag der Weserburg der aus Argentinien stammende Künstler Nicolás Uriburu von einem kleinen Motorboot aus die Weser grün färbt, – grün vernebelt, sozusagen. „Green Bremen“ hatte er seine Aktion damals genannt. Jan Zier verriss sie an dieser Stelle als Kitsch. Rohlings Werk tendiert in eine ähnliche Richtung.
Seine Arbeiten wirken ungemein expressionistisch. Die Farbpigmente, mit denen er seine Nebelfelder auf Bildern und Objekten erzeugt, sind grob gestisch. Der 1946 in Krefeld geborene Rohling hatte in den 70er Jahren in Berlin an der Hochschule für Künste bei dem Neoexpressionisten Karl Horst Hödicke studiert. Höddicke wird allgemein als Wegbereiter der so genannten Neuen Wilden bezeichnet, einer Gruppe junger Maler, darunter Rainer Fetting und Salomé, die in den 80er Jahren durch grobe, gestische Bilder von sich reden machten. Rohling ist kein klassischer Vertreter dieser Richtung, aber seine Arbeiten erinnern stark daran. Zum Beispiel die Serie „Immer von Innen“. Rohling hat hier hinter Backofenscheiben Fotos geklebt, auf denen er mit großer Geste grobes Malerwerkzeug schwenkt. Drumherum hat er Farbpigmente so ausgestreut, dass es so aussieht, als würde der kleine Gerd Rohling von innen die Backofenscheibe streichen.
Eine andere Serie, die in der Ausstellung zu sehen ist, heißt „Sweet’n’Sour“. Rohling hat von den Gehwegen Kaugummi gekratzt, sie in Glitzerpapier gewickelt und in Materialcollagen verarbeitet. Einmal sieht man eine Frau vor einem Juweliergeschäft sich nach einer solchen vermeintlichen Kostbarkeit bücken, einmal hat er zwei solcher glänzenden Kugeln in einen Saturnring montiert. Es ist in diesem Zusammenhang von Poesie und Romantik die Rede. Manchmal aber verhalten sich Worte wie Poesie und Romantik zu ihrem banalen Kern, wie die Glitzerfolie zu ihrem Kern aus durchgekautem und ausgespucktem Hubba Bubba.
Wieder auf der Straße, ist die ganze Poesie verschwunden. Kein Nebel, nur Kälte. Der Himmel ist grau, nicht grün, Gott seiDank.
■ bis 30. Juni, Weserburg