: Allawi übt Kritik
Iraks ehemaliger Regierungschef warnt vor staatlichem Mord und Folter und zieht Vergleiche zur Saddam-Ära
KAIRO taz ■ Heute wird der ehemalige irakische Diktator Saddam Hussein zum zweiten Mal vor seinen Richtern stehen. Doch es ist weniger die Vergangenheitsbewältigung, als vielmehr die Gegenwart, die im Irak Schlagzeilen macht.
„Die Menschenrechtsverletzungen im heutigen Irak sind genauso schlimm, wie zu Zeiten Saddam Husseins.“ Das behauptete am Wochenende niemand anderes als Ijad Allawi, bis April dieses Jahres der erste Ministerpräsident der Post-Saddam-Zeit. Einer, der einst Saddams Sicherheitsapparat den Rücken kehrte, um einen Teil der irakischen Opposition im Ausland anzuführen, und der von dort in Gefolge der US-Truppen in seine Heimat zurückkehrte. Ein Politiker, der als verlässlicher Verbündeter der USA gilt. „Heute wird das Gleiche oder sogar Schlimmeres als zu Zeiten Saddams praktiziert“, erklärte Allawi jetzt gegenüber der britischen Sonntagszeitung Observer. Der Vergleich sei angebracht, weil sich die Iraker eben an die Saddam-Zeit erinnerten und die heutigen Zeiten an ihr messen würden, verteidigte er seine Ausführungen. „Das waren genau die Gründe, warum wir Saddam bekämpft haben“, fügte er hinzu.
Seine Bemerkungen sind sicher auch im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen am 15. Dezember zu werten, bei denen Allawi hofft, den jetzigen Ministerpräsidenten Ibrahim Dschaafari abzulösen. Der Schiit Allawi hatte bei den ersten Wahlen im Januar mit seiner Reputation, ein „Mann der Amerikaner“ zu sein, eine herbe Niederlage erlitten. Statt seiner säkularen Partei, die die Einheit des Landes betonte, zogen mehrheitlich religiös schiitische Parteien ins Parlament ein.
„Wir hören erneut von Geheimpolizei und geheimen Gefängnissen, in denen Menschen verhört werden“, sagte Alawi gegenüber dem Observer. „Viele Iraker werden dort gefoltert oder umgebracht, und wir werden gar Zeugen von Scharia-Gerichten, die im Namen des islamischen Rechts Leute verurteilen und hinrichten“, fuhrt er fort.
Vor zwei Wochen hatten US-Truppen ein geheimes Gefängnis in Bagdad entdeckt hatten. In dem vom Innenministerium verwalteten Gebäude waren 170 ausgehungerte und misshandelte Gefangene befreit worden. Die größte schiitische religiöse Partei, der Oberste Rat der Islamischen Revolution, Sciri, stellt den irakischen Innenminister.
Zumindest was seine eigene Sicherheit angeht, hat Allawi bereits den Glauben an die staatlichen Organe im Irak verloren. Allawi hat seine Leibwächter angewiesen, auf jedes Polizeiauto zu feuern, dass sich ohne vorherige Anmeldung seinem Hauptquartier in Bagdad annähert.
Gegenüber Europa und den USA hat der einstige irakische Liebling westlicher Geheimdienste eine eigene Botschaft: „Der Irak ist das Zentrum der Nahostregion“, warnte er in dem Interview mit dem Observer, „wenn die Dinge dort schief gehen, dann werden weder Europa noch die USA in Sicherheit leben.“ KARIM EL-GAWHARY