: Flamboyanter Auftakt
Gut zwei Monate vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Turin sind noch einige Fragen ungeklärt: Darf Coca-Cola ungehindert werben? Wird es Proteste von Umweltschützern geben? Und: Werden Dopingsünder in Handschellen abgeführt?
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Am Sonntag war es so weit: Mit der Entzündung des olympischen Feuers begann offiziell der Countdown für die Winterspiele, die vom 10. Februar 2006 an in Turin steigen werden. Doch schon vor der Eröffnungszeremonie im Olympiastadion der Autostadt werden sich wahre Heerscharen sportlich verausgabt haben: Der Reiseplan der Fackel hat es in sich. Erst ist sie fast 2.000 Kilometer quer durch Griechenland unterwegs. Am 7. Dezember dann geht es ab nach Rom, mit zunächst noch fürstlicherem Nachtquartier: beim Staatspräsidenten höchstselbst im Quirinalspalast.
Präsident Carlo Azeglio Ciampi wird dann den Startschuss für einen 11.000 Kilometer langen Dauerlauf geben: 10.001 Fackelläufer werden die Flamme den italienischen Stiefel rauf- und runtertragen. Zunächst geht es in Richtung Genua, und da wäre man ja fast schon in Turin; die Fackel aber besteigt stattdessen die Fähre nach Sardinien, und nach Durchquerung der Insel geht’s weiter nach Sizilien, von dort nach Kalabrien im Süden. Keine der zwanzig Regionen des Landes wird ausgelassen. Fest steht heute schon, wer am 8. Dezember in Rom losrennt: Es ist Stefano Baldini, Goldmedaillengewinner beim Marathon in Athen 2004. Bis zuletzt möchten die Organisatoren dagegen das Geheimnis hüten, wer die Schlussetappe läuft. Wer immer es ist: Wie alle vor ihm wird er froh sein, wenn er es hinter sich hat.
Die Fackel aus Aluminium nämlich wiegt stolze 1,8 Kilo. Gefahr droht der olympischen Flamme eigentlich bloß bei heftigem Orkan: Die Fackel soll Windgeschwindigkeiten bis 120 km/h standhalten. Einen Proteststurm aber hat sie schon vor ihrer Entzündung halbwegs heil überstanden. In Rom hatten gleich zwei links regierte Bezirksräte Anfang November gegen die Durchquerung ihrer Stadtteile gestimmt, wenn Coca-Cola der offizielle Sponsor des Fackellaufs bleibe.
Dem US-Konzern warfen die Linkspolitiker vor, in einer Abfülldependance in Kolumbien mache sich die Firmenleitung übler antigewerkschaftlicher Aktionen schuldig; sechs Gewerkschaftsaktivisten seien in den letzten Jahren gar ermordet worden. Erst nach einem Krisengipfel zwischen Roms linkem Bürgermeister Walter Veltroni und dem Coca-Cola-Chef von Italien konnte die Krise bereinigt werden; im nächsten Frühjahr – passenderweise einen Monat nach Abschluss der Turiner Spiele – soll eine Delegation aus Rom nach Kolumbien reisen, um sich von der Haltlosigkeit der Vorwürfe zu überzeugen.
Kaum war diese Krise überstanden, meldete sich letzte Woche ausgerechnet der Stadtrat von Turin zu Wort – und forderte den Boykott des Olympia-Sponsors. Peinlich für Coca-Cola, peinlich aber auch für eine Stadt Turin, die sich die Spielfreuden nicht von linken Protestierern verderben lassen will. Der Bürgermeister Sergio Chiamparino jedenfalls zeigte sich ungehalten über den „Infantilismus, der die Alterskrankheit des Kommunismus ist“; im Übrigen sei der Ratsbeschluss ja eine bloße Boykott-„Empfehlung“, der niemand zu folgen brauche.
Ansonsten gibt Chiamparino sich dieser Tage sehr entspannt. Zwar ist Turin immer noch eine Megabaustelle, die Arbeiten aber liegen im Plan, und die Turiner Bürger tragen den für sie Jahre anhaltenden Stress mit größter Gelassenheit. Sie sehen genauso wie die Stadtspitze Olympia als Riesenchance: als Chance, die Stadt kräftig aufzumöbeln, mit neuen Verkehrs- und Veranstaltungsinfrastrukturen fit zu machen für die schon lange angebrochene Zeit nach Fiat – der Autobauer beschäftigt nur noch 15.000 Menschen in der 900.000-Einwohner-Stadt. Eine Tourismus-, Dienstleistungs- und Eventmetropole möchte Turin nicht zuletzt dank des zwei Milliarden Euro schweren Olympia-Liftings werden. Dass der Bürgermeister sich noch mit der Berlusconi-Regierung um 30 Millionen Euro streitet, weil im letzten Staatshaushalt die Mittel für Turin 2006 gekürzt wurden, erscheint da nur als Randnotiz. Im Rathaus jedenfalls herrscht keine Panik.
Niemandem macht auch der ausgerechnet in Turin residierende Anti-Doping-Staatsanwalt Raffaele Guariniello Sorgen, der mit seinen Verfahren gegen Juventus Turin oder gegen den Radsportler Marco Pantani Berühmtheit erlangte. Zwar beschwerte sich das IOC über die strenge italienische Doping-Gesetzgebung, die selbst die sofortige Verhaftung erwischter Sünder nicht ausschließt, aber von italienischer Seite wurde signalisiert, dass sich da wohl eine Lösung finden lasse: Bilder von Goldmedaillengewinnern, die in Handschellen abgeführt werden, sind aus Turin nicht zu erwarten.
Eher schon könnte es Bilder von italienischen Bürgern in Handschellen geben: Westlich von Turin rebelliert gerade ein ganzes Alpental, das Val di Susa, gegen den Bau der Bahnstrecke Turin–Lyon quer durch die Alpen. Und ausgerechnet im Val di Susa und den Nachbartälern werden die Alpinwettbewerbe stattfinden – eine große Versuchung für die Protestfront, mit Straßenblockaden auf sich aufmerksam zu machen. Aber das ist nicht die einzige Sorge der Polizei: Auch in Turin gilt die Angst dem islamistischen Terrorismus.