Interview mit "Descendants"-Regisseur: "Ich sah Clooney noch nie weinen"

Manchmal hilft Fremdheit: Wie Alexander Payne Hawaii kennenlernte, wie die Realität eines Orts im Film entsteht und über soziale Komödien im Hollywoodkino.

"The Descendants" - eine düstere Geschichte, erzählt von einem Komödienregisseur und oscarnominiert. Bild: dpa

taz: Herr Payne, "The Descendants" gewinnt laufend Preise, ist fünfmal für den Oscar nominiert. Eigentlich wollten Sie jedoch einen Film namens "Downsizing" drehen - über ein Paar, das beschließt, der Finanzmisere zu entgehen, indem es sich ganz klein macht.

Alexander Payne: Ja, das ist - vorerst - am Geld, aber auch an der Technologie gescheitert. Von "The Descendants" hatte ich 2007 das erste Mal gehört, mein Produzent machte mich darauf aufmerksam. Um die Wahrheit zu sagen: Mir ging die Geschichte nicht sehr zu Herzen. Ich blieb irgendwie draußen

Was hat Sie denn umgestimmt?

Erst als ich begann, am Buch zu schreiben, kamen mir Ideen, die mir den Film emotional und filmisch näherbrachten.

Wie haben Sie sich dem Schauplatz Hawaii angenähert - kannten Sie den Ort?

Dass Hawaii für die meisten Menschen Inbegriff der paradiesischen Urlaubsdestination ist, kann Matt King (George Clooney), der Held aus Alexander Paynes neuem Film, "The Descendants", nicht mehr hören. Das Leben hält für den etwas nachlässigen Familienvater tatsächlich eine besondere Prüfung bereit: Seine Frau verunglückt bei einem Bootsunfall, sodass er sich plötzlich mit Pflichten gegenüber seinen Töchtern und anderen unschönen Überraschungen konfrontiert sieht.

Nach "About Schmidt" und "Sideways" beweist Payne mit dieser warmherzigen Tragikomödie nach einem Roman von Kaui Hart Hemmings ein weiteres Mal, dass er sich auf die nuancierte Darstellung existenzieller Krisen bestens versteht - mit genauem Auge für regionale Besonderheiten erzählt "The Descendants" von einem Mann, der sein Leben (und sein Land) ein wenig grundsätzlicher zu betrachten lernt.

Nein, ich hatte keinerlei Vorstellung von dieser Welt reicher Leute in Hawaii - ich bin aus Nebraska! Ich benötigte wirklich die Hilfe der Autorin Kaui Hart Hemmings. Sie war es auch, die mir die Tür zu dieser Seite von Hawaii geöffnet hat, sie hat mir die Leute vorgestellt, die Clubs und Häuser gezeigt - sodass ich ein Gefühl für alles bekam. Schon in "About Schmidt" waren Ausstattung und nichtprofessionelle Darsteller sehr wichtig. Sie erzählen, wie ein Ort wirklich ist. Diesmal war es wichtig, die asiatischen Gesichter neben den weißen Protagonisten zu haben - ihre Art, zu sprechen, ist ganz wesentlich. Sie helfen auch dabei, dass Filmstars plötzlich realer wirken. Umgekehrt unterstützen sie die erfahrenen Schauspieler darin, besser zu sein.

Man hat den Eindruck, Sie zeigen in Ihren Filmen bevorzugt normales, bürgerliches Leben.

Im Film heißt es zu Beginn: "Sie glauben, Hawaii ist das Paradies? Fuck you, it's not!" Auf einer visuellen Ebene ist es reizvoll, an einem der schönsten Orte der Welt zu sein und dann zu zeigen, wie die Menschen wirklich leben. Doch es ist keine besonders tiefsinnige Offenbarung, dass Menschen überall leiden. Denken Sie nur daran, wie schön Haiti ist!

Dennoch liegt etwas Komisches in Ihrem Blick auf den Alltag - schon allein diese lächerlichen Shorts und Hemden!

Oh ja, aber die Menschen ziehen sich dort wirklich so an! Man könnte "The Descendants" eine soziale Komödie nennen - es geht um Moral und darum, wie Menschen miteinander umgehen. Und ich habe tatsächlich noch nie Hawaii in einem Film gesehen. Man kennt ähnliche Geschichte aus jeder verdammten Stadt der Welt. Ich fand es spannend, eine alte Geschichte an einem neuen Ort zu erzählen.

Es gibt im Film auch einen Erzählstrang um die Veräußerung von Land - und die Frage, wem es eigentlich gehört.

Mir ging es darum, glaubwürdig zu sein. Diese Geschichte der Rückgabe des Familienbesitzes ist ein Teil des Buchs, also habe ich über die gesetzlichen Fragestellungen - wie es sein kann, dass ein einzelner Mann der Vermögensverwalter des Landes ist - lange mit Anwälten gesprochen. Es war wichtig, dass dieses Element im Film ist, ohne dass daraus eine liberale Botschaft wird.

Also ohne Emphase …?

Genau. Ohne "Lass uns das Land retten!"-Slogans, selbst wenn wir damit sympathisieren. Ein metaphorisches Echo reicht völlig - es geht bei Matt ja auch um die Umgestaltung des Privatlebens.

Sie sprachen von einer sozialen Komödie - dies ist im Hollywoodkino selten. Was zeichnet deren Realitätssinn aus?

Haben Sie Martin Scorseses Dokumentation über Elia Kazan gesehen? Es gibt darin einen schönen Satz über "Die Faust im Nacken": "Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass die Leute, die ich kannte, Bedeutung hatten." Ich fühle ähnlich, ich möchte Menschen wie aus Omaha - der Stadt, aus der ich komme - auch in Filmen sehen. Das Leben hat diese gewisse Patina. Ich schätze Filme, die unserer Realität näherkommen, statt sich von ihr zu entfernen. Und ich mag Komödien.

Sie gelten als großer Freund der menschlichen Komödie eines Billy Wilder oder Leo McCary.

Das sind die Filme, die ich bewundere, klassisches Erzählkino. Ich bin aber auch von New Hollywood in den 1970er geprägt worden, als es dem US-Kino gelang, das Studio zu verlassen, auf die Straße zu gehen und Leute zu zeigen, die nicht wie Filmstars aussehen. Es gab Schauspieler wie Al Pacino, George Segal, Dustin Hoffman oder Jack Nicholson, die nicht unbedingt wie Old-School-Filmstars wirkten.

Ihr Film hat einen dramatischen Kern, wechselt dann allerdings oft die Tonart ins Komische.

Das plane ich nicht, es drängt sich mir einfach auf, wenn ich mir überlege, wie der Film sein soll. Es ergibt sich wohl dadurch, dass hier eine eigentlich düstere, traurige Geschichte von einem Komödienregisseur erzählt wird. Wenn sich eine Gelegenheit für einen Gag ergibt, ergreife ich sie. Ich spreche von visuellen Witzen: Wie Matt rennt, wie er den anderen Mann ausspioniert, wie er Sätze nicht so richtig über die Lippen bekommt - Absurdität findet sich in allen Dingen, auch in den schrecklichsten. Die Tatsache, dass wir existieren, ist absurd.

Und ab wann haben Sie bei diesem absurden Verhalten an George Clooney gedacht?

Er war meine erste Wahl. Ich schreibe allerdings nur selten mit Schauspielern im Kopf - wenn doch, dann mit einem, der bereits tot ist. "About Schmidt" schrieb ich für William Holden. Letztlich hängt es am Drehbuch, es gibt ja nicht so viele anständige davon - und Stars wie Clooney suchen danach. Ich bin natürlich daran interessiert, dass gute Schauspieler die reizvollsten Parts spielen.

Gab es nicht den Anreiz, Clooney anders zu zeigen? Er wirkt hier sehr empfindsam, verletzlich.

Lassen Sie es mich so sagen: Ich denke nicht so sehr an den Kontext oder die Ikonografie eines Schauspielers. Aber ich gebe zu, dass ich in einem bestimmten Moment gedacht haben: "Ich habe zwar Tom Hanks, aber noch nie George Clooney weinen gesehen."

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