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Archiv-Artikel

Mit der linken Klebe

Die Fußball-WM wirft ihren Schatten voraus, die Spielbälle der Sportmultis stammen nicht aus gerechtem Handel. Herner Projekt wirbt für faire Kugeln

Der faire Ball buhlt mit Adidas um Kunden – das ist wie David gegen Goliath

AUS HERNE MANFRED WIECZOREK

Ein Ball ist rund und muss ins Eckige. Jedenfalls beim Fußball. Doch einige Bälle sind anders, sie sind fair. Genauer: Fair gehandelt, obwohl sie – wie rund 80 Prozent der weltweit rollenden Bälle – aus der pakistanischen Region Sialot kommen. Rund 55.000 Menschen nähen dort Fußbälle; Kinder sollten nicht darunter sein. „100-prozentig child labour free“ verkündet ein Aufdruck auf den Bällen der meisten Markenhersteller seit der Fußballweltmeisterschaft 1998. Doch fair ist ein Ball damit noch lange nicht.

Denn ein fair gehandelter Ball bringt seinem Näher bis zu zwei Euro pro Stück. Normalerweise liegt der Lohn für die dreistündige Arbeit nur zwischen 40 und 80 Cent. Arbeiten zwei Familienangehörige in der fairen Ballproduktion, sollen sie die Grundbedürfnisse einer Kleinfamilie decken können. Joachim Vorneweg vom Projekt „fair play : fair life“ möchte die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland nutzen, um mehr Bälle mit dem TransFair-Label ins Spiel zu bringen.

Seit 2004 arbeitet das fünfköpfige Team im Informationszentrum Dritte Welt in Herne auf die WM zu. „Wir wollen dieses Mega-Event nutzen, um den fairen Handel nach vorne zu bringen“, sagt Projektsprecher Vorneweg. Über die Fußballbegeisterung sollen vor allem Jugendliche für Themen wie Globalisierung, Ausbeutung der so genannten Dritten Welt und fairen Handel sensibilisiert werden. „Das geht mit Bällen nun mal besser, als mit Produkten wie Bananen oder Tee“, so die Erfahrung des Fußballfans Vorneweg – er selbst hat einen Faible für die Kameruner, die sich für die Endrunde aber nicht qualifizieren konnten.

Dass man Konzernen wie Adidas, Nike oder Puma ernsthaft die Stirn bieten kann, das glaubt niemand in dem spartanisch eingerichteten Dritte-Welt Zentrum des Kirchenkreises. „Es ist schon viel erreicht, wenn sich die Jugendlichen mal mit der Entstehung eines Balles beschäftigen“ – der Mann von „fair play : fair life“ bleibt bescheiden.

Die Herstellung eines Balles ist ein „Knochenjob“, weiß Vorneweg. Rund 800 Nadelstiche in drei Stunden braucht es, bis aus 32 Fünfecken ein Fußball geworden ist. Der ist schon lange nicht mehr aus Leder, sondern aus dem wasserdichten Kunststoff Polyurethan, das aus Tschechien zur Weiterverarbeitung nach Pakistan importiert wird. „Diese Entwicklung war ein harter Schlag für die Lederindustrie Pakistans“, sagt Joachim Vorneweg.

Diese und andere Zusammenhänge wollen die Entwicklungsaktivisten auch in den Arbeitsmaterialien für Schulunterricht oder Jugendarbeit darstellen, die das Fair-Projekt an fast 3.000 Schulen und Vereine in Nordrhein-Westfalen verschickt hat. Das Paket enthält eine DVD mit einem Film über die Arbeit der Näher, Hintergrundinformationen über die Sportindustrie, den Welthandel und viel Wissenswertes über das Fußballspiel – von der Regelkunde bis zur Fankultur. Es finden sich auch Tipps für Aktionen in Vereinen. „Das wird gut angenommen. Bald kommt die zweite Auflage der Materialien“, freut sich Vorneweg. Wer im Training oder im Sportunterricht einmal vor eine faire Kugel getreten habe, sei begeistert: „Da ist manches Vorurteil über mangelnde Qualität oder dröges Design gekippt.“

Den fairen Ball gibt es im Retro-Look der 1970er Jahre oder modern gestylt, in Silber oder in bunten Farben, als Trainings- oder hochwertigen Wettkampfball. „Wir haben alles, was das Fußballherz begehrt“, sagt Vorneweg und zeigt auf seine Sammlung fairer Bälle. Dort findet sich auch der Ur-Ball aller fairen, runden „Spielgeräte“. In weiß und mit verschiedenen bunten Ornamenten bedruckt lag er ab 1998 in den Dritte-Welt-Läden. Vornewegs Urteil über die Erstausgabe fällt nicht so gut aus: „Der war oft schon nach wenigen Spielen durch. Andererseits hat er alles ins Rollen gebracht.“ Heute werden rund 40.000 faire Bälle in den Dritte-Welt-Läden oder über den Versand des Fair-Projektes verkauft. Der Aktionsball des Projektes ist für 17 Euro zu haben, im Sortiment werden aber auch Bälle für mehr als 50 Euro geführt.

Preise wie bei den Branchenriesen – auch bei den Ballherstellern hat Umdenken eingesetzt: „Auch die Firma Derbystar bietet jetzt faire Bälle in den Karstadt-Sporthäusern an. Das könnte zum Durchbruch in den ganz normalen Sportläden werden“, hofft Joachim Vorneweg. Doch bislang trifft der faire Ball in den Regalen auf die Konkurrenten der Globalplayer wie Adidas, Puma oder Nike. Und die Weltkonzerne lassen gegen Millionengagen Top-Stars wie David Beckham von Real Madrid für ihre Produkte werben. So wurde aus dem Adidas „Roteiro“ schnell ein „Superball“ – dabei bescheinigte Beckham der silber glänzenden Kugel vor dem Abschluss des Werbevertrags ein Flugverhalten wie ein „Backstein“. Bei den Fußballprofis war die Skepsis groß, als Adidas den „Roteiro“ als Spielball der Europameisterschaft in Portugal präsentierte: „Es war der erste nicht von Hand genähte Ball bei einem internationalen Turnier“, erläutert Joachim Vorneweg. Bis dahin galt es als ungeschriebenes Gesetz, dass nur ein handgenähter Ball ein optimales Flugverhalten haben kann. Doch Beckham und Co. verliehen gegen Bares der Neuentwicklung die höheren Weihen.

Davon kann man bei „fair play : fair life“ nur träumen. Hier ist man froh, wenn der ehemalige Nationalspieler Olaf Thon bei einer Aktion einen Ball signiert und freut sich über ein Statement der Schalker Kultfigur Yves Eigenrauch: „Fairness ist wichtig – nicht nur im Fußball. Darum wünsche ich der Kampagne einen riesigen Erfolg“, sagt der eigensinnige Ex-Fußballer.

Yves Eigenrauch gegen David Beckham, das hätte auf dem Platz eine Begegnung auf Augenhöhe sein können, in der Werbung ist es der Kampf von David gegen Goliath. „Die Kids fahren auf die teure Werbung ab“, macht sich Vorneweg keine Illusionen. Dabei sei jeder faire Wettkampfball mit denen der großen Konkurrenz vergleichbar und könne das Fifa-Label für den Einsatz in internationalen Wettbewerben erhalten – doch das kostet pro Ball happige 5 Euro.

Beim „Homeless World Cup 2005“, der Fußballweltmeisterschaft der Wohnungslosen im Herbst im schottischen Edinburgh, kam man ganz ohne das teure Fifa-Label aus. Hier rollten nur faire Bälle. Als „Prämie“ für die Teilnahme erhielt nicht nur Weltmeister Italien mehrere Bälle, um im Training zu bleiben, sondern alle 27 Mannschaften – Deutschland wurde bei dem Weltturnier 16.

Eigentlich sollten in Schottland 32 Teams gegen soziale Ausgrenzung kämpften. Doch den afrikanischen Mannschaften aus Kamerun, Nigeria, Somalia, Kenia und Burundi wurde kurzerhand die Einreise verwehrt. Die Behörden befürchteten, die Afrikaner würden versuchen illegal zu bleiben. Doch trotz der europäischen Abschottung sollen die Afrikaner nicht auf faire Bälle verzichten: „Wir konnten Gabriel Melkam vom Zweitligisten Sportfreunde Siegen gewinnen, die Bälle nach Afrika zu bringen und den Mannschaften zu übergeben“, freut sich Sprecher Vorneweg über die Unterstützung des nigerianischen Profis. Der nächste „Homeless World Cup“ findet dann wie die Fußballweltmeisterschaft der Profis in Südafrika statt. Und natürlich werden die Wohnungslosen wieder ausschließlich fairen Bällen hinterher jagen.

www.fairplay-fairlife.de