HORRORFILME, LIEBESMÜHEN UND ANTIMUSLIMISCHE VORURTEILE
: Das „Wir“ und das „Die“

VON SONJA VOGEL

Pünktlich stehe ich am Donnerstag im Vorraum des Jüdischen Gemeindehauses. Neben mir piept der Metalldetektor der Sicherheitsschleuse. Gleich soll eine Diskussion zu „Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik“, einer Veröffentlichung zum Kölner Urteil, beginnen. Aber die Veranstaltung fällt aus. Zum Trost bekomme ich das Buch, in dem die Beschneidung aus interdisziplinärer Perspektive aufgerollt wird. Und das mit Fokus auf die irritierend emotional geführte Debatte, in der die unbeschnittene Mehrheit bisweilen auf die Stereotype vom kinderquälenden Juden und vormodernen Muslim zurückgriff – immer um das Wohl der Anderen bemüht.

Es ist noch früh, das Valentin Stüberl unverqualmt. Ich sitze auf einer Bierbank und versuche zu lesen. Neben mir zuzeln zwei Männer unerträglich laut an ihren Weißwürsten: Die Wurst fest mit der Hand umschlossen, lutschen sie das Brät heraus. Horrorfilmeffekt! Ich sollte wegschauen, kann aber nicht! Vor meinem inneren Auge läuft eine Szene aus „Weiningers Nacht“, Joshua Sobols großartigem Theaterstück über den Antisemiten und Frauenhasser Otto Weininger. Sobol stellt ihm eine Doppelgängerin zur Seite: Weininger als wunderschöne Frau. Sie kniet vor ihm und beißt in die Knackwurst vor seinen Lenden. Eine Kastrationsfantasie, die – dem antisemitischen Stereotyp der Moderne entsprechend – nicht zwischen be- und abgeschnitten unterscheidet. „Na?“, röhrt der Wirt einen Gast an. „Hast’ wieder ein Loch unten im Glas?“

Rückzug an die Bar

Am Morgen sitze ich im Café Rix. B. und ich, mit dunklen Augenringen, tauschen uns über die Schwierigkeit aus, als Workaholic durchzuschlafen. Baldrian? Schlaftabletten? Gute-Nacht-Bier? Am besten, man wechselt früh vom Bürotisch an den Tresen und liegt um Mitternacht im Bett. So hält sich der Jetlag in Grenzen. Gesagt, getan. Um 19 Uhr sitze ich mit einer ehemaligen Kollegin im Laidak. Sie hat eine neue Frisur, ich einen neuen Job. Auch sonst haben wir uns viel zu erzählen, leider hat sie noch eine Verabredung. Ich ziehe mich an die Bar zurück, beobachte die beiden aus den Augenwinkeln. Um 2.21 Uhr schreibe ich ihr eine SMS. „Küssen!“, steht darin. In einer weiteren: „Jetzt.“

Schnitt. Es ist nach fünf. Wider besseres Wissen habe ich mich in eine Debatte über das Urteil zur Knabenbeschneidung verwickeln lassen. Ein Gesprächspartner weiß genau, wer hier wem etwas vorschreiben darf. Und da ist es wieder. Das „Wir“ und das „Die“. Ich bin so wütend, dass ich den Gratismix – irgendetwas mit Ginger Ale – stehen lasse. Triumphierend blicken die Männer von ihren Barhockern auf mich herab, als ich in den Mantel schlüpfe. Hinter mir poltert die Tür ins Schloss. Meine Gedanken sind düster, auf dem St. Thomas Friedhof singen die Lerchen.

Zwölf Stunden später trete ich durch das Stadttor von Babylon. Im Pergamonmuseum läuft im Rahmen von „Wie im Film!?“, einer Reihe zur muslimischen Vielfalt, „Folgeschäden“ von Samir Nasr. Der Film beschreibt, wie sich nach dem Schock des 11. September das antimuslimische Vorurteil in die kollektive Psyche gegraben hat: Ein algerischer Wissenschaftler verliert wegen eines bloßen Verdachts seine Stelle. Dass dies in der Zeit der Rasterfahndung massenhaft passierte, ist kaum bekannt. Warum stehen Muslime unter einem Generalverdacht? „Da verdichten sich die diffusen Ängste um das Andere“, sagt der Ethnologe Werner Schiffauer.

Dass dem so ist, zeigt der Einwurf einer Zuschauerin, der es unmöglich ist, sich auf die Erfahrungswelt deutscher Muslime einzulassen. Erregt spricht sie stattdessen von „Deutschenverunglimpfung“. Aber die Deutschen unter dem Generalverdacht des antimuslimischen Vorurteils? Undenkbar.