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Archiv-Artikel

DAS INTERNET SOLL AN ALLEM SCHULD SEIN: AUCH AM FRÜHLING Terrorismus, bis das Ich verschwunden ist

JULIA SEELIGER

Der Frühling ist da! Väterchen Frost hat sich verzogen und alle gehen wieder raus und freuen sich. Traurig dagegen: Der Frühling hat ein schlechtes Image bekommen. Arabischer Frühling, vor zwei Jahren noch voll beliebt. Heute? Alles zerfallen, die Islamisten sind schon längst da, die Leute demonstrieren sich immer noch einen ab und kommen dabei um. Nichts hat sich geändert.

Auch das Internet hat ein schlechtes Image. Es ändert nichts, sagen also die Pessimisten, und gleichzeitig soll es an allem schuld sein. An allem! Eben dem Arabischen Frühling, dem Niedergang der Piratenpartei und am Egoismus der Menschen.

Dabei ist es nicht das Internet, es ist die Dummheit der Menschen. Die war aber vor dem Internet schon da. Jetzt müssen wir sie eben sehen.

Das ist schon hart für die Feingeister. Dass die sich da aber auch nicht drauf vorbereitet haben! Wer so naiv war zu glauben, das Internet ermögliche aus sich heraus einen herrschaftsfreien Diskurs, ist aber auch wirklich nur begrenzt denkbegabt.

Solche begrenzt Denkbegabten klagen nun, bevorzugt im FAZ-Feuilleton. Der Fraktionsvorsitzende der Piratenpartei Christopher Lauer: er schreibt, Twitter sei für ihn gestorben. Kurz nach dem Artikel twittert er dann weiter. Bei dem habe ich sämtliche Hoffnungen aufgegeben. Gab ich Lauer doch in dieser Kolumne noch Tipps, wie er die verteilte Kommunikation am Beispiel seiner Person – immerhin schaut er ständig auf sein Smartphone – dem Bürger verständlicher machen kann. Hat er wohl nicht gelesen.

Und Katrin Rönicke. Die schrieb in ihr FAZ-Blog den Text „Twitter ist wie die DDR“ und affirmierte ein bisschen Hannah Arendt. Im Kommentarbereich ihres Blogs große Begeisterung! Ja, schlimm, dieses Internet, und erst diese Kommentare! Wir werden alle terrorisiert, bis das Ich verschwunden ist und DAS INTERNET IST WIE STALIN.

Bullshit. Twitter und das Internet haben wenig mit Arendts Totalitarismustheorie zu tun, sondern mehr mit anderen Theoretikern. Das haben mir Kommentatoren in meinem Blog gesagt. Praktisch, dass Kommentare möglich sind, in diesem Internet. Man muss sich um seine Kommentatoren bemühen. Von nichts kommt nichts, gilt auch fürs Community-Management.

Solange Betreiber großer Webseiten sich keine Gedanken über so was machen und vor allen Dingen so wenig Geld für Community-Management ausgeben, habe ich auch kein Verständnis für das Gejammer, im Netz stürbe der Diskurs. Solange Leute bei Twitter die Blockfunktion nicht gefunden haben und sich über jeden Spinner, der ihnen eine Antwort schickt, aufregen. Haben die vergessen, was das Internet schon alles für uns getan hat?

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLMNE@TAZ.DE

Mittwoch

Margarete Stokowski

Luft und Liebe

Donnerstag

Josef Winkler

Wortklauberei

Montag

Barbara Dribbusch

Später

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Matthias Lohre

Männer

Der Reichtum, der Netzwerken innewohnt – wichtige Idee, schon mal drüber nachgedacht, ihr Internetchecker?

Aber ach, wenn die nicht so ne Meinungsmacht hätten, könnte man diesen Shitstorm von oben ja auch einfach ignorieren. Abschalten und rausgehen ist ja vielleicht auch mal nicht so schlecht. Das Internet hat zurzeit einfach ein schlechtes Image. Wie der Frühling.