: Zwischen Abstoß und Aufprall
JUNGE CHOREOGRAFIE Die Tanztage in den Sophiensælen kommen so regelmäßig wie das neue Jahr, trotz schwieriger Finanzierung. Diesmal mit Gästen aus Polen, wo das Geld für zeitgenössischen Tanz noch knapper ist
VON KATJA GRAWINKEL
Drei mal zwei plus X. So ließe sich der Auftakt der 19. Berliner Tanztage auf eine Formel bringen, denn das „erste Festival des Jahres“ gab in den Sophiensælen mit drei Duetten einen anregenden Einstieg in die Werkschau der Nachwuchs-Choreografen.
„Josephine Joseph“ trägt das Duoprinzip bereits im Titel. Dabei zierte der Name ursprünglich nur eine KünstlerIn, die auf Varieté-Bühnen der 30er-Jahre einen Körper präsentierte, der halb Mann halb Frau war. Julia Jadkowski, Marcel Schwald, Roswitha Emrich und Rico Schalück machen daraus eine doppelseitige Installation. Auf der einen Seite stehen „Joseph“ und „Josephine“ in einer Konstruktion aus Spiegeln. Auf der anderen verschmelzen sie in der Dunkelkammer zu einem Bild. Die Faszination, von der das historische „Monstrum“ lebte, ist im forschenden Blick der Besucher, die sich frei in der Installation bewegen, mit inszeniert.
Zwei Tänzerinnen plus ein bisschen Zufall minus all zu viel Ernst, ergeben in Stina Nybergs „A white rhythm section“ jede Menge Spaß beim Zusehen. Rosalind Goldberg und Sandra Lolax erkunden liebevoll die Welt zwischen Abstoßen und Aufprallen. Es gibt Bock-, Luft-, Seil- und Fallschirmsprünge. Leichtfüßig oder existenziell, mit Ziel oder ohne. Bis auch dem Letzten klar ist: Gehüpft ist nicht wie gesprungen.
Demgegenüber kommt das dritte Duo bedrückend schwer daher. In „Dishevelled“ zucken Johanna Chemnitz und Sonja Pregrad von unsichtbaren Wellen ergriffen und sind doch durch typisch weibliche Accessoires (Seidenstrumpfhosen und Stiefeln mit Absatz) zur Laszivität verdammt. Zusammen mit Neven Karajcic’ ohrenbetäubenden Liveklängen bleibt es eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten.
Deutsch-polnisches Doppel
Auch der Leiter der Tanztage, Peter Pleyer, hat in diesem Jahr zum gemischten Doppel gebeten. Erstmals arbeiten die Tanztage mit dem Produktionshaus für zeitgenössischen Tanz, Stary Browar Nowy Taniec in Poznań, Polen, und seiner Kuratorin Joanna Lesnierowska zusammen. Die beschreibt einen Wandel im polnischen Tanz: „Die Generation, die den Tanz in Polen nach 1989 stark gemacht hat, ist inzwischen etabliert. Ihre jungen Nachfolger sind sehr gut ausgebildet – im Ausland natürlich – und drängen auf die Bühnen. Zwischen der stark vom Theater geprägten polnischen Tradition und den kulturellen Einflüssen aus ihrer westlichen Ausbildung versuchen sie sich selbst und ihre Interessen zu definieren.“
Stary Browar bietet das einzige Residenzprogramm für Nachwuchs-Choreografen in Polen, wo es keine staatliche Förderung und kaum Infrastruktur für zeitgenössischen Tanz gibt. Die drei Residenten von „Solo Projekt 2009“ treten am 12. Januar in den Sophiensælen auf. Ramona Nagabczynska sucht in „Man’s best friend“ nach der menschlichen Identität zwischen Seelenkonzepten und medizinischen Körpererklärungen. Magdalena Przybysz gibt in „Mój Poland Drive“ ein ganz persönliches, mitunter ironisches Statement über ihre „Grenzgänger“-Jugend zwischen Sozialismus und Demokratie ab. Malgorzata Haduchs „Zona Segura“ stellt, entstanden nach einem Erdbeben, das die Tänzerin in Peru miterlebt hat, die Frage nach Gefahr und Sicherheit.
„Die gegenseitigen Einflüsse zwischen Berlin und Poznań sind noch nicht abzusehen, denn es gab bisher so gut wie keinen Austausch der Tanzszenen“, sagt Lesnierowska. Dabei liegen die beiden Städte nur etwa 300 Kilometer voneinander entfernt. „Die Tanzszenen von Paris oder Stockholm sind hier präsenter. Gerade deshalb ist uns eine Öffnung nach Osteuropa besonders wichtig“, betont Peter Pleyer. „Was öffentliche Förderungen angeht, bildet Berlin die Grenze zwischen dem hochgelobten Westen und dem Osten, wo solche Häuser wie Stary Browar nur von privaten Förderern leben.“
Damit berührt Pleyer den wunden Punkt der chronisch unterfinanzierten Berliner Tanzszene. Zwar verzichtet man in diesem Jahr auf das Abdrucken der Budgets im Programmheft der Tanztage, Produktionen mit k(l)einem Budget seien aber wieder eher die Regel, als die Ausnahme, so Pleyer, der lange im Vorstand des Vereins Zeitgenössischer Tanz Berlin tätig war. Der Verein hatte letztes Jahr eine Honoraruntergrenze für Tanzschaffende gefordert, denen trotz hoher Flexibilität, bester Ausbildung und internationaler Ausrichtung unterm Strich häufig nur eine Bezahlung am Existenzminimum bleibt.
■ Am Dienstag ist „Josephine Joseph“ noch einmal um 18 Uhr in den Sophiensælen zu sehen. Das weitere Programm bis zum 13. Januar unter www.tanztage.de