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Archiv-Artikel

Das Nachspiel

Alba Berlin verliert im Uleb-Cup die vierte Partie in Serie, 87:91 gegen Bree. Doch Präsidium und Trainer wollen dem Team keine Vorwürfe machen, zu nah ist der tragische Unfall von Matej Mamic

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Am Mittwochmorgen haben die Spieler von Alba Berlin gemeinsam einen Entschluss gefasst. Sie sind zu Matej Mamic gefahren ins Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn. Dort liegt der Kapitän der Mannschaft seit seinem fatalen Sturz. Im Bundesligaspiel gegen Gießen war der kroatische Flügelspieler nach einem Block zu Boden gegangen und reglos liegen geblieben. Arme und Beine konnte er nicht mehr bewegen. Ein Lähmung unterhalb des Halses drohte. Der schlimmste Fall ist nicht eingetreten. Die Schwellung des Rückenmarks hat sich zurückgebildet.

Das Gefühl in den Extremitäten ist zurückgekehrt. Doch so schnell es in den vergangen Tagen voranging, so beharrlich wird der 30-Jährige in den kommenden Monaten um seine alte Bewegungsfähigkeit ringen müssen. „Er hat in den letzten Tagen einen gigantischen Schritt nach vorne gemacht“, sagt Albas Vizepräsident Marco Baldi, „das weckt natürlich Erwartungen, dass es in diesem Tempo weitergeht – aber das wird es wahrscheinlich nicht.“

Die Ärzte hatten Albas Profis darum gebeten, Mamic nicht mehr so oft zu besuchen. Die Genesung stehe im Vordergrund. Aber das Team war der Meinung, das Gebot der Mediziner übertreten zu müssen. Es wollte nach der Verlustpartie im Uleb-Cup gegen den belgischen Verein Euphony Bree (87:91) ganz einfach zu seinem Kapitän, ihn unterrichten, ermuntern, ihm Mut machen. „Das sind alles Menschen, die Gefühle haben – und mit diesen Gefühlen müssen sie irgendwohin“, erklärt Marco Baldi den kollektiven Ausflug ans Krankenbett. Auch im Spiel hatte Alba Berlin ein Zeichen gesetzt: Die Spieler trugen den Aufkleber „# 6 Mamic“ auf ihren Sportschuhen.

Das Team hatte seinem Kapitän einen Sieg versprochen als Heilmittel. Damit ist es nichts geworden. Die Mannschaft litt unter „den Umständen“, wie Trainer Henrik Rödl die Nachwirkungen des schockierenden Sturzes umschreibt. Unglücklicherweise ging auch noch eine Grippe um, die neben dem Center Jovo Stanojevic auch den Dreierschützen Mike Penberthy erwischt hatte. Und Demond Greene hatte die Nacht vor dem Spiel unruhig mit Magen-Darm-Beschwerden verbracht. Eine Hand voll Stammspieler war also angeschlagen. Kein Team in Europa kann das kompensieren.

„Es war kein Spiel wie jedes andere. Es war das Spiel 1 danach“, sagt Baldi, dem so ein tragischer Unfall im Basketball noch nicht untergekommen ist. „Es war ein wirkliches, ein schreckliches Unglück, eine freak situation.“ Er meint damit ein Ereignis, das undenkbar ist, das außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt. Dass es trotzdem eingetreten ist und gerade Albas Führungsspieler getroffen hat, das bleibt unbegreiflich, damit kämpfen alle Beteiligten. Baldi meint, man dürfe sich nicht zu lang die Frage nach dem Warum stellen, nicht in Selbstmitleid versinken. Die Mannschaft müsse den Blick nach vorn richten. Baldi weiß aber auch, „dass wir nicht auf einen Knopf drücken können, und schon haben wir alles vergessen. Das mit Matej wird bis zum Saisonende andauern und uns begleiten. Zur Tagesordnung werden wir nicht zurückkehren können.“

Es laufen trotzdem bereits Planungen, Ersatz für Mamic zu verpflichten. Der Alltag, die Ansprüche, denen ein Spitzenklub genügen muss, verlangen eine solche Entscheidung. Populär ist sie nicht, aber unumgänglich. Denn es ist eine Lücke in der Mannschaft entstanden, eine Leerstelle, die es schnell zu füllen gilt. Mamic agierte oft unauffällig, aber er gab Alba Berlin Halt. Im Spiel gegen Bree suchte der frühere Serienmeister sichtlich nach Struktur und Ordnung.

„Was die Hierarchie in der Mannschaft angeht und die Chemie, hatte Matej eine überragende Rolle inne, da ist er unersetzlich“, sagt Baldi. Jetzt müsse Alba, das so überlegen in der nationalen Liga spielte (neun Siege) und so erfolglos im Uleb-Cup (vier Niederlagen), eine „neue Chemie“ finden – eine schwierige Aufgabe. Im Grunde muss sich Alba neu erfinden.

Die Hackordnung muss überarbeitet werden. Und „Wille und Emotion“ (Baldi) allein werden nicht reichen, um wieder erfolgreich Basketball zu spielen. „An der Leistung der Mannschaft verbietet sich aber jede Kritik“, ist Baldi überzeugt. Coach Rödl sieht das genauso: „Das, was am Samstag passiert ist, hat die Mannschaft stark mitgenommen. Ich muss nicht groß erklären, dass es schwer ist, in so einer Situation zu spielen.“ Die Energie, die sich zweifelsohne in den Spielern angestaut habe, sei an diesem Abend nicht in Kampf umzuwandeln gewesen. „Nur in der zweiten Halbzeit haben wir wieder zu unserem Geist gefunden“ – zu wenig für die cleveren und treffsicheren Gäste.

Matej Mamic wird auch in den nächsten Tagen kaum Ruhe finden. Er wird Packen von Unterschriften erhalten, die unter den 5.070 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle gesammelt wurden. Auch eine neun Meter langes Plakat mit der Aufschrift „Gute Besserung“ auf Kroatisch, wird darunter sein. Vielleicht hilft ihm das.

Marco Baldi sagt: „Matej ist der Typ, der wie ein Tier ackern kann.“ Das ist seine Chance.