: Die unbezahlte Klassenreise
UNTREU Lehrerin steckt Geld von Schülern ein. Richterin urteilt hinter verschlossener Tür
Dreißig Schüler einer Oberschule in Prenzlauer Berg freuten sich auf eine Klassenfahrt an den Ostseestrand. Im September 2011 standen die Neuntklässler mit ihrem Gepäck am Hauptbahnhof und warteten auf ihre Lehrerin. Doch Grit K. kam nicht. Kurz darauf stellte sich heraus, dass sie die Reise gar nicht gebucht und die für die Klassenfahrt eingesammelten 4.700 Euro veruntreut hatte. Gestern fand nun der Prozess gegen die 45-jährige Pädagogin vor dem Amtsgericht Tiergarten statt.
Es sollte eine öffentliche Verhandlung werden, vor der Tür standen neun Journalisten und zwei Rechtsreferendare. Doch der Prozess wurde von Karin Nissing geleitet, einer 49-jährigen Richterin, von der Gerichtsreporter den Eindruck haben, dass sie ungern in deren Anwesenheit verhandelt. Als vor Jahren einige Journalisten ihren Sitzungssaal betraten, rief sie während der laufenden Verhandlung aus: „Da kommen ja meine Freunde von der Presse!“, und bat den Angeklagten, sich zu überlegen, was er nun sage, weil morgen alles in der Zeitung zu lesen sei.
Gestern schien ihr diesbezüglich ein Coup gelungen zu sein: Per Lautsprecherdurchsage bat die Vorsitzende die Angeklagte in den Sitzungssaal, den eine verhuschte rothaarige Brillenträgerin betrat – zum Vorgespräch. Kurz darauf steckte eine Journalistin ihren Kopf zur Tür herein und erfuhr von der Vorsitzenden: „Es ist noch nicht öffentlich!“
Die Reporter und Referendare warteten auf den Aufruf. Nach etwa zwanzig Minuten verließen die Richterin und die Angeklagte wortlos den Saal. Der Prozess war zu Ende. Daraufhin erkundigte sich Pressesprecher Tobias Kaehne bei der Richterin. Diese behauptete, sie habe durch ihre Protokollantin den Beginn des Prozesses ausrufen lassen. Doch können elf wartende Menschen so taub sein?
Milde Geldstrafe
Grit K., so war weiterhin zu erfahren, hat ihre Tat gestanden. Wieso sie ihre Schüler so enttäuschte, ob, wie so oft in solchen Fällen, ein Mann hinter ihren finanziellen Problemen steht, habe sie nicht berichtet. Vielleicht hat die Richterin sie auch nicht danach gefragt. Sie hat auch nicht mit ihr darüber gesprochen, ob es stimmt, dass es bereits an einer Pankower Schule Probleme mit der Weitergabe von Schülergeldern gegeben habe. Damals soll die Lehrerin aber nicht angezeigt worden sein.
Grit K., die das veruntreute Geld für die Klassenfahrt zwei Tage später zurückgezahlt hatte, erhielt eine milde Geldstrafe. Sie muss 3.600 Euro bezahlen, das sind bei der suspendierten Beamtin 90 Tagessätze. Erst ab 91 Tagessätzen Geldstrafe erscheint eine Verurteilung im Führungszeugnis. Angst, dass noch einmal verhandelt werden muss, weil möglicherweise die Öffentlichkeit bewusst ausgeschlossen wurde, muss die Lehrerin indes nicht haben. Tobias Kaehne erklärt: „Es wäre ein Revisionsgrund, aber das Urteil ist wirksam.“ UTA EISENHARDT