ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Motive eines Meuchelmordes

Zimmerpflanzen sollten ausgesetzt werden, wenn man sie nicht mehr mag. Alles andere ist schlecht fürs Karma

Matthias Roeingh ist 45 Jahre alt und gelernter Betonbauer. Als ich ihn zuletzt besuchte, da bewohnte er ein extrem großzügiges Loft über den Dächern von Kreuzberg. Waschbecken, Schiebetüren und sogar der in den Boden eingelassene Whirlpool im Schlafzimmer: Beton, Beton, Beton. Den Frühlingsnachmittag verbrachten wir daher in einem nahe gelegenen Café, wo er mir arglos vom Augenblick seiner Erleuchtung erzählte. Auf einem LSD-Trip habe er in einer kalten Nacht halbnackt auf einer Mülltonne unter den Sternen gestanden, als plötzlich und klar das innere Prinzip des Kosmos vor ihn getreten sei: Friede, Freude, Eierkuchen. Als „Doktor Motte“ erfand er sich deshalb neu – und gleich dazu noch eine Übung in praktischer Esoterik zwecks Rettung der Welt, die Love Parade.

Denn: „Wenn nur genug Menschen überall auf der Welt gleichzeitig durch den Tanz zur Trance finden und nichts als Liebe empfinden, dann wirkt sich das auf das morphogenetische Feld unseres Planeten aus – und alles wird gut.“

Globale Harmonie durch New Age? Meiner Skepsis begegnete Doktor Motte mit einem milden Lächeln, wie man es von manchen Insassen psychiatrischer Abteilungen oder auch frisch geweihten Priestern kennt. Er glaubte einfach an irgendwelche Schwingungen und fuhr damit ganz gut.

Ich hingegen spreche nur selten mit meinen Pflanzen. Unser Verhältnis ist gespannt. Dabei bilden sie eigentlich ein überschaubares, friedliches Völkchen in meiner Wohnung: Da ist der Farn auf meinem Fernseher, dessen Silhouette verblüffend an die Frisur einer „Simpsons“-Figur namens Sideshow-Bob erinnert; da ist der Ficus Benjamini, der sich wie ein schwindsüchtiger Bonsai benimmt und seit Jahren nicht mehr wachsen will; da ist der wild wuchernde Efeu auf einer meiner Lautsprecherboxen, den ich regelmäßig auf eine schicke Kurzhaarfrisur zurückstutze; da ist der Klee auf dem Balkon, wo er sich derzeit auf das Abenteuer einer unfreiwilligen Überwinterung vorbereitet; und da ist ein kugeliger Riesenkaktus, auf dem sich hoffentlich nie eine Schwiegermutter niederlassen wird.

Stumm zwar, aber doch in einer Art stillem Einverständnis lebten wir auf diese Weise jahrelang einträchtig zusammen und verstanden uns auch ohne Worte – zumal mir bei den meisten Pflanzen völlig entfallen ist, wem ich die Ehre ihrer Gesellschaft zu verdanken habe. Dann aber passierte die Sache mit Monstera Deliciosa.

Das gewaltige Gewächs mit den fleischigen Blättern gehörte eigentlich der Freundin einer Freundin, die „für ein Jahr nur“ ins Ausland gehen und das Ungetüm solange in Pflege geben wollte. Also stellte ich es in eine Ecke und wartete. Und wartete. Und wartete. Die Jahre gingen ins Land, das Ungetüm wuchs. Und wuchs. Und wuchs. Und war rasch so mächtig, dass es, unter ihrem eigenen Gewicht erschlafft, nur noch horizontal weiterwuchern konnte. Also robbte die Gruselpflanze, ihre prankenartigen Blätter flach auf den Boden gedrückt, Zentimeter um Zentimeter hinterrücks auf mich zu, wenn ich am Schreibtisch hockte. Und wenn ich mich umdrehte, war sie einfach da, eine krankhafte Wucherung.

So konnte es nicht weitergehen. Es musste etwas passieren. Aber was?

Ich weiß noch, wie ich die Pflanze packte, wie schwer sie war. Ich weiß noch, wie ich sie auf den Balkon zerrte. Wie ich die Schere ansetzte, zu stumpf für die dickeren Äste. Wie ich kämpfte. Wie sie sich zu widersetzen schien. Wie ich brach und schnitt, mit ihren kratzenden Zweigen im Gesicht und einem weißlichen Saft an den Händen, dort, wo ich sie Stück für Stück zertrennte. Als ich wieder zu mir kam, atemlos, lag die zerstückelte Leiche meines wehrlosen Opfers, säuberlich verpackt, in drei Mülltüten vor mir. Mit klebrigen Händen versenkte ich sie in der Tonne im Hof.

Doktor Motte übrigens redete nie mit seinen Pflanzen. Er fuhr einen Golf, als Pick-up. In den Ecken der leeren Ladefläche hatte sich Flugsand angesammelt. Aus dem Flugsand wuchs ein Baum.

Fragen zum Karma? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL