: Comandante, Showman, Revolutionär
NACHRUF Hugo Chávez ist tot. Der Venezolaner mag ein Maulheld gewesen sein. Er setzte gewiss auf die falschen Freunde. Aber es ist ihm gelungen, einen ganzen Kontinent zu verändern
VON CHRISTOPH TWICKEL
Hugo Chávez ist tot. War er ein Revolutionär? Ein großer Staatsmann? Eines ist sicher: Hugo Rafael Chávez Frías, geboren am 28. Juli 1954 in einer ärmlichen Palmwedelhütte in dem Nest Sabaneta im brütend heißen Bundesstaat Barinas, gestorben am 5. März 2013 im Militärkrankenhaus in Caracas, hat einen Kontinent verändert. Lateinamerika ist nach links gerückt und Chávez hat den Impuls dazu gegeben, als er Anfang 1999 das Präsidentenamt antrat – vier Jahre vor Brasiliens Lula, sieben Jahre vor Boliviens Evo Morales und acht Jahre vor Ecuadors Rafael Correa.
Die traditionellen Eliten haben ihn gehasst und als „zambo“ abgekanzelt, als „Bastard“ mit afrovenezolanischen und indianischen Wurzeln. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa hat ihn als „lächerliche Persönlichkeit“ verspottet, der spanische König gar befahl Chávez, die Klappe zu halten – als dieser bei einem Gipfel polemisierte. Kurzum: Chávez war das Enfant terrible des lateinamerikanischen Linksrucks – als erklärter Sozialist, als überdrehter Medien-Dampfplauderer und als Volkstribun, der gegen den Imperialismus und die Oligarchie wetterte.
In den deutschen Medienmainstream schaffte er es selten mit seinen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. Immer eine News waren hingegen die krassen und pittoresken Momente seiner politischen Karriere – von denen es reichlich gab: Als er 2006 George W. Bush vor der UNO-Generalversammlung den „Teufel“ nannte und sich dabei bekreuzigte. Als er 2005 den damaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox einen „Schoßhund des Imperiums“ schimpfte und in Solidarität mit dem mexikanischen Volk mit einem riesigen Sombrero auf dem Kopf Volkslieder anstimmte. Als er in Teheran mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad den antiimperialistischen Schulterschluss übte, Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko umarmte, Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi Solidarität bis in den Tod schwor, Syriens Diktator Baschar al-Assad stützte oder – wie zuletzt geschehen – darüber mutmaßte, ob seine Krebserkrankung nicht eine Art biologischer Kriegsführung der USA sein könnte. All das passte nur zu gut zum Klischee vom lateinamerikanischen Caudillo-Revoluzzer, der alles tut, um Beachtung zu finden.
Tatsächlich war Chávez mit seinem für hiesige Geschmäcker befremdlichen Politikstil extrem populärdemokratisch. Seine sonntägliche Talkshow „Aló Presidente“ etwa – die er 2012 krankheitsbedingt einstellen musste – verlegte das Politikmachen ins Fernsehen. Chávez verkündete Entscheidungen, ließ sein Kabinett berichten, zeigte heimlich aufgenommene Videos von internationalen Gipfeltreffen und ließ sich – immer an einem anderen Ort – Sozial- oder Infrastrukturprojekte der „bolivarischen Revolution“ vorführen. So machte er Politik auf eine showhafte Weise transparent – und kostete als Moderator und Host die Amplitude zwischen der Präsidentenrolle und der Rolle des Anführers der „bolivarischen Revolution“ voll aus. Der repräsentative Ton des Staatsoberhaupts konnte jederzeit umschlagen in eine aufbrausende Hemdsärmeligkeit des Revolutionärs oder in volksnahe Lehrstunden zu politischen Fragen. Und natürlich gehörte zum Sendungskonzept auch, dass Regierungsfunktionäre und politische Beamte Rechenschaft ablegen mussten.
Chávez, der Mann der Basis
Eben das machte das Charisma des Comandante Chávez zu der zentralen politischen Figur, der die diversen Fraktionen der „bolivarischen Revolution“ in Venezuela zusammenhielt. Wenn die Campesinos auf die Straße gingen, um eine Landreform einzuklagen, wenn die Bewohner der Armenviertel Maßnahmen gegen die grassierende Bandenkriminalität einforderten, wenn indigene Organisationen gegen den Kohleabbau in ihren Gebieten demonstrierten, dann protestierten sie gegen Ministerien, lokale Autoritäten oder Funktionäre – aber immer im Namen von Hugo Chávez. Der Mehrheit der ärmere Bevölkerung galt Chávez als Mann der Basis, der einer tendenziell korrupten und volksfernen politischen Klasse Beine macht.
Das mag zum Teil auch die hohen Wahlergebnisse erklären, die er bei allen vier Präsidentschaftswahlen während seiner 14-jährigen Regierungszeit einfuhr. Aber Charisma ist nicht alles – die satte Mehrheit von zuletzt 54 Prozent, die Chávez im Oktober 2012 zum Präsidenten wählte, verdankt sich einer realen Verbesserung der Lebensverhältnisse. Dazu gehören: der Ausbau der medizinischen Versorgung, des Bildungssystems, die Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme, die Installierung kommunaler Räte, die auf lokaler Ebene Mittel mobilisieren können, und diverse andere wohlfahrtstaatliche Maßnahmen, die in chavistischer Diktion „Misiones“ heißen.
Dass ihm die Mittel dafür dank historisch hoher Ölpreise nicht ausgingen, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass Chávez und die Seinen durch die Entmachtung der venezolanischen Petrodollar-Bourgeoisie überhaupt erst die Voraussetzungen schufen, dass die Gewinne aus dem Erdölgeschäft dem Staat für soziale Maßnahmen zur Verfügung stehen. Auch Chávez’ Gegnern war klar, dass die Petrodollars die Achillesverse der Revolution sind: Als im Winter 2002/2003 die Manager und Angestellten der Erdölgesellschaft PdVSA monatelang die Ölforderanlagen, Raffinerien und Tanker lahmlegten, stand das Land vor dem Ruin – bis Studenten und Militärangehörige die Anlagen wieder in Betrieb nahmen. Nur einige Monate vorher hatten Teile der Militärführung versucht, Chávez aus dem Amt zu putschen. Sie scheiterten am Widerstand der unteren Militärränge – und an der massenhaften Mobilisierung der Chávez-Anhänger, die tagelang den Präsidentenpalast Miraflores belagerten, bis die Putschisten durch den Hinterausgang flohen.
Er selbst habe die politische Bühne als Putschist betreten – das haben ihm seine Gegner immer vorgeworfen. Im offiziellen Sprachgebrauch war der Coup, mit dem der damals 37-jährige Oberstleutnant und Fallschirmspringer am 4. Februar 1992 gemeinsam mit anderen jungen Offizieren die Macht übernehmen wollte, eine Erhebung. Die Operation misslang gründlich – aber mit der knapp einminütigen Rede im Fernsehen, in der der damals völlig unbekannte Soldat seine Mitverschwörer zur Aufgabe überredete, spielte sich Chávez in die Herzen vor allem der Barrio-Bewohner: Er sprach freundlich und höflich, übernahm die Verantwortung für den Coup, war als Mestize offensichtlich nicht Teil der weißen Oligarchie – und er repräsentierte eine Rebellion jüngerer Dienstgrade gegen ein politisches und militärisches Establishment, das schon lange in der Bevölkerung verhasst war. Putschversuch oder nicht: Schon am Tag nach der Erhebung tauchten die ersten „Viva Chávez!“-Graffiti auf.
Chávez und das verbrannte S-Wort
Es war der Beginn einer erstaunlichen politischen Karriere, die den inhaftierten Offizier-Rebellen erst zur Ikone der Armen und schließlich zum Anführer eines breiten Wahlbündnisses machte, in dem Trotzkisten, Anarchisten, Exguerilleros, Sozialdemokraten, linkes Bürgertum und Basisorganisationen aus den armen Barrios gemeinsam für eine politische Erneuerung kämpften – und Hugo Chávez 1998 zum Wahlsieg verhalfen.
Angetreten als linker Nationalist, rief er um 2004 den „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ aus – der erste Präsident, der das verbrannte S-Wort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder in den Mund nahm.
Gerade mal 21 Jahre hat die politische Karriere von Hugo Chávez gedauert, bevor er am Dienstag nach langer Krankheit starb. Im Juni 2011 wurde bekannt, dass er wegen eines Abszesses auf Kuba operiert werde. Es war der Anfang vom Ende und der Beginn eines 18-monatigen Kampfes gegen eine Krebserkrankung, um deren genaue Gestalt der venezolanische Regierungsapparat bis zum Schluss ein Geheimnis gemacht hat.
Als Chávez Anfang Dezember 2012 mit dem ehemaligen Außenminister und jetzigen Vizepräsidenten Nicolas Maduro seinen Wunschkandidaten als Nachfolger ausrief, war das Ende absehbar. Am späten Dienstagnachmittag trat Maduro vor die Kameras, um unter Tränen zu verkünden, dass der Präsident um 16.25 Uhr gestorben ist.
Wie die „bolivarische Revolution“ den Verlust ihres charismatischen und ubiquitären Anführers verkraften wird, ist schwer zu ermessen. Maduro hat nicht seine Aura – und dass ein Machtkampf zwischen den Fraktionen der Bewegung ansteht, ist an den allfälligen Appellen an die „Einheit“ zu ermessen, die nach seinem Tod die öffentliche revolutionäre Rhetorik prägen.
Chávez hat kein „Bolivianisches Tagebuch“ hinterlassen wie Ché Guevara und auch ein Manifest des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ hat er nicht geschrieben. Kein Theoretiker der Revolution, sondern ein medienbegabter Showman und Machtpolitiker ist gestorben – unzählige YouTube-Clips bleiben als Zeugnis seiner flamboyanten Rhetorik. Er war ein Maulheld wie Muhammad Ali, einer, der sich mit Verve in eine antikoloniale, antiimperialistische Pose warf, der sich nicht wie so viele andere lateinamerikanische Politiker durch Wohlanständigkeit und Anpassung in die Rolle des Juniorpartners der USA fügte – ein polternder, anmaßender, antielitistischer Volkstribun mit Hang zum Messianischen. Auch wenn ihn die Welt einen „Diktator“ nannte und die FAZ ihm „altsozialistische Gängelungs- und Einschüchterungsmethoden“ vorwarf: Zum veritablen Bad Guy war er nicht hochzustilisieren. Das musste selbst die zur Übertreibung neigende venezolanische Opposition irgendwann erkennen. Sein Herausforderer Henrique Capriles, einst ein fanatischer, militanter Antichavist, warb im vergangenen Jahr mit dem Versprechen für sich, er werde im Falle eines Wahlsiegs die „Missionen“ des Comandante weiterführen – nur effektiver. Selbst seine ärgsten politischen Gegner mussten zugestehen, dass Chávez die soziale Frage unwiderruflich auf die Agenda gesetzt hat – in Venezuela und ganz Lateinamerika. Er wird dem Kontinent fehlen.
■ Vom Verfasser erschien 2006 im Nautilus-Verlag „Hugo Chávez. Eine Biografie“.