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Archiv-Artikel

Neukölln räumt mit Vorurteilen auf

ZUWANDERUNG Der neue Roma-Statusbericht aus Neukölln stellt fest: Es gibt zwar Probleme, aber auch viele Erfolge bei der Integration von eingewanderten Rumänen und Bulgaren. Stadträtin hält aktuelle Debatte über massenhaften Sozialmissbrauch für „Panikmache“

„Menschen zurück- zuschicken, ist nicht unser Weg“

FRANZISKA GIFFEY (SPD)

VON SUSANNE MEMARNIA

Zuwanderung kann in einem grenzenlosen Europa nur bedingt gesteuert werden – und Deutschland braucht sie aufgrund des demografischen Wandels: Zu diesem Fazit kommt der aktuelle 3. Roma-Statusbericht des Bezirks Neukölln. Damit setzt sich die Verwaltung in Neukölln wohltuend von den alarmistischen Tönen ab, die die aktuelle Debatte über Zuwanderung von Roma beherrschen.

Schulstadträtin Franziska Giffey (SPD), die den Bericht verantwortet, erklärte der taz, sie begrüße es zwar, dass das Thema bundesweit auf die Agenda gekommen sei. „Aber es wird immer noch diskutiert, wie die Menschen zurückgeschickt werden können. Das ist nicht unser Weg.“ So lange es ein Armutsgefälle gebe, müsse man Armutswanderung akzeptieren und damit umgehen – gleich, ob es sich um Rumänen oder Spanier oder Griechen handele.

Der Bericht benennt sachlich und nüchtern die Probleme der Zuwanderer, stellt aber auch positive Entwicklungen fest: „Jugendliche erhalten trotz weniger Monate in Berlin eine Gymnasialempfehlung, Mütter sprechen – ohne je einen VHS-Kurs besucht zu haben – schnell einfaches Deutsch, und diejenigen mit EU-Arbeitserlaubnis gehen einer regelmäßigen Beschäftigung nach“, heißt es.

Nebenbei räumt der Bericht mit dem Vorurteil auf, dass auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gern anführt: die Roma würden nur kommen, um Sozialleistungen zu kassieren. „Das ist schon ein Stückweit Panikmache“, sagte Giffey. Für Neukölln habe man festgestellt, dass nur etwa ein Drittel der Rumänen und Bulgaren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhält. Das heißt, erklärt der Bericht, sie haben ein Gewerbe angemeldet und können dann vom Jobcenter aufstockende Leistungen für sich und/oder ihre Familie bekommen. Im Sommer 2012 waren das in Neukölln laut Bericht 594 Rumänen, 32 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe, und 617 Bulgaren, 23 Prozent dieser Gruppe. Insgesamt lebten 2012 in Berlin offiziell knapp 25.000 Roma aus diesen beiden Ländern, in Neukölln rund 5.000. Allerdings schätzt das Bezirksamt, dass es tatsächlich mehr als 10.000 sind. „Es kommen auch qualifizierte Rumänen, zum Beispiel Lehrer“, betont Giffey. Wie bei anderen Einwanderern seien auch die Roma eine heterogene Gruppe.

Dennoch: Eines der Hauptprobleme sehen die Neuköllner im Bereich Bildung. So werde es aufgrund der steigenden Zuwandererzahlen langsam personell und räumlich eng an den Neuköllner Schulen. Insgesamt gebe es jetzt 802 SchülerInnen aus diesen Ländern in Neukölln, darunter 54 Analphabeten. Etwa die Hälfte von ihnen werden in sogenannten Willkommensklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse auf den Besuch der Regelschulen vorbereitet, die andere Hälfte gehe bereits in normale Klassen, erklärt Giffey. Und die Schulen berichteten viel Positives von den neuen Schülern, heißt es im Bericht. „Zum überwiegenden Teil sind die lernwillig, offen und hochmotiviert, die Zusammenarbeit mit den Eltern hat sich verbessert.“

Das zweite Problem ist laut Bericht die oftmals fehlende Krankenversicherung (siehe Interview). In der Folge würden viele Roma nur im Notfall behandelt. Zudem sei zu befürchten, dass die Mehrzahl der Menschen nicht geimpft seien – zumindest fehlten die Impfnachweise. Der Bezirk hat daher in dieser Woche eine Impfaktion in den Willkommensklassen gestartet. „Das ist aber kein Sonderprogramm für Roma“, erklärt Giffey. Alle Kinder in den W-Klassen würden bei Bedarf geimpft.

Das dritte Problem für viele Roma ist laut Bericht die Wohnsituation. Häufig würden Zuzügler von Vermietern ausgebeutet, zu horrenden Mieten in unzumutbaren Verhältnissen untergebracht. Hier versuche das Bezirksamt zusammen mit den Vereinen Amaro Foro und Nachbarschaftsheim Neukölln durch Aufklärung über Mieterrechte und bei drohender Wohnungslosigkeit zu helfen.

Der Bericht schließt mit der Hoffnung, dass der Roma-Aktionsplan des Senats, der zurzeit erarbeitet wird, die Probleme angeht. Der Bezirk bräuchte mehr Platz in Schulen, mehr Lehrer für Sprachförderung, sagte Stadträtin Giffey. „Wir rechnen auch mit Obdachlosigkeit, das wird eines der brennendsten Probleme“, befürchtet sie für die Zukunft.

Auf den Berliner Aktionsplan setzt auch Milan Pavlovic vom Rroma Informations Center. „Der Senat will uns ab 2014 finanzieren, damit wir eine Selbstorganisation der Roma aufbauen können“, erklärt er. Denn genau dies fehle bislang: dass Roma in die (finanzielle) Lage versetzt werden, sich selbst zu helfen. Zwar gebe der Bezirk derzeit viel Geld aus. Bei vielen Roma käme allerdings nichts davon an, so Pavlovic. „Es fehlt an direkter, praktischer Hilfe, zum Beispiel bei der Ausbildungsplatzsuche.“