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Archiv-Artikel

Hoher Jammerfaktor

Wenn Akademiker Felderfahrungen im Nachtleben machen: Ein Reader über den „Sound der Stadt“ arbeitet sich an der Vielgestaltigkeit der Berliner Subkulturen ab – und schreibt doch nur fort, was längst in Stadtmagazinen steht

Vornehmlich interessieren dürften sich Berliner für ein Buch, das verspricht, sich um das Verhältnis von Musikindustrie und Subkultur in Berlin zu kümmern. Was aber müssen sie dann darin erfahren: Friedrichshain wird gentrifiziert und Kreuzberg ist wieder hip, das Leben als Berufsraver ist schlingernd, die Arbeitsverhältnisse in der hiesigen Kreativszene sind prekär – und die Kulturindustriethese von Horkheimer und Adorno ist wichtiger als alles andere. In dem Sammelband „Der Sound der Stadt – Musikindustrie und Subkultur in Berlin“ bekommt man ein Wissen geliefert, das man längst hat.

Wer auch nur gelegentlich in den letzten Jahren eine Berliner Zeitung in den Händen gehalten und hin und wieder in Stadtmagazinen herumgeblättert hat, dem werden hier ausschließlich einschlägig bekannte Geschichten aufgetischt: Dimitri Hegemann darf nochmals ein wenig jammern, dass die Stadt Berlin nie verstanden hat, wie wichtig der Tresor als Imagefaktor für die Stadt war. Monika-Enterprises-Labelchefin und DJ Gudrun Gut äußert unerträglich typische Szene-Promi-Sätze wie „Berlin ist dann doch die interessanteste Stadt der Welt“. Und zwischendurch fliegt Tim Renner bei Universal raus.

Vielleicht hätte man von dem Buch aber auch einfach nichts anderes erwarten sollen. Es wird herausgegeben von Akademikern und weitestgehend vollgeschrieben von Akademikern –und es ist ja bekannt, dass an deutschen Unis der Popdiskurs nicht vorangetrieben, sondern höchstens viel zu spät behäbig zusammengefasst wird. Dass aus dem weltbekannten DJ Paul van Dyk ein „Paul van Dyck“ wird und im Zusammenhang mit der Berliner Sängerin Peaches von „den Peaches“ die Rede ist, passt da nur ins Bild. Und wenn Anja Schwanhäußer in den Club geht und sich neben jemanden setzt, der dann aber lieber tanzen geht, dann ist das natürlich „eine typische Felderfahrung“.

Das ganze Buch ist mit viel gutem Willen zusammengestellt worden. Albrecht Scharenberg spricht sich in seinem Aufsatz über „Berlin Sounds“ nochmals gegen die Deutschquote im Radio aus und immer wieder sickert durch, dass die Herausgeber sich vehement dafür einsetzen, dass in Berlin subkulturelle Freiräume erhalten und neu geschaffen werden. Doch um den wirklichen Wandel dieser Stadt und die echten Probleme der Berliner Subkultur erfassen zu können, wird einfach zu sehr mit veralteten Parametern herumhantiert und den falschen Leuten das Wort gegeben. Statt zwei amerikanischen Geografie-Professoren über 50 Seiten Platz einzuräumen, sich mit Adorno und Horkheimer auseinander zu setzen, hätte doch zuallererst mal der Begriff „Subkultur“ an sich argwöhnischer betrachtet gehört. Immerhin sind die gängigen Subkultur-Vorstellungen – autonome Produktion eigenen Wissens und gruppendynamisches Klammern an Distinktionsgewinne – in den letzten Jahren doch grundsätzlich erodiert. Auch Berliner Subkulturen sind schließlich kaum noch elitäre Privatszenen mit unverständlichen Codes, sondern für jeden mit Stadtmagazin-Abo weitestgehend bequem zugänglich.

Statt den altgedienten Tresor-Meister und die Szene-arrivierte Label-Chefin hätte man doch besser die ehemaligen Macher des illegalen Clubs „Bad Kleinen“ befragt, die sich nach der polizeilichen Räumung ihrer Location kaum noch trauen, etwas wirklich Subkulturelles auf die Beine zu stellen. So hätte Berlin vielleicht endlich auch mal den Titel „beschissenste Stadt der Welt“ verpasst bekommen.

„Der Sound der Stadt“ aber lässt zu unterschiedliche Diskurse wild wuchern, ohne sie schlüssig zu bündeln. Übrig bleibt die immanente Forderung an den Kultursenator, das subkulturelle Treiben in der Stadt mehr schätzen zu lernen – denn hier sei doch ihr eigentliches Kapital zu verorten. Vielleicht fällt wenigstens diese Politikberatung auf fruchtbaren Boden.

ANDREAS HARTMANN

Albert Scharenberg/Ingo Bader (Hrsg.): „Der Sound der Stadt – Musikindustrie und Subkultur in Berlin“. Westfälisches Dampfboot. Münster 2005. 203 S., 19,90 €