: Peres und Scharon in einer Front
Die neue Liste des israelischen Regierungschefs hat laut Umfragen gute Chancen bei den Parlamentswahlen im März. Die bisherige Regierungspartei Likud steht vor dem Zusammenbruch. Auch die Liberalen müssen mit Einbußen rechnen
AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL
Die neue Liste des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon ist im Aufwind – und das nicht erst, seit Schimon Peres ihm am Mittwoch seine Unterstützung ankündigte. Umfragen der auflagenstärksten Zeitung Jediot Achronot zufolge könnte Kadima – zu deutsch Vorwärts – 37 der insgesamt 120 Sitze im Parlament gewinnen, wenn jetzt gewählt würde. Der Austritt von Peres aus der Arbeitspartei und seine offizielle Rückendeckung für Scharon vergrößert zudem bei 30 Prozent der Israelis die Bereitschaft, für Kadima zu stimmen, wie die Ha’aretz gestern schrieb. Schlecht steht es allerdings um den Likud, Scharons alte politische Heimat. Die Regierungspartei steht mit der Aussicht auf nur noch zehn Mandate (derzeit 40) kurz vor dem Zusammenbruch.
„Dies ist ein schwerer Tag für mich“, begann Peres seine lang erwartete Stellungnahme zur eigenen politischen Zukunft. Scharon sei, so zeigten dessen bisherigen Errungenschaften, „der richtige Mann“, um das höchste Ziel Frieden und Sicherheit voranzutreiben. „Ich musste in der Partei, in der ich Mitglied bin, Widersprüche entdecken“, begründete Peres seinen Schritt, der knapp einen Monat nach seiner parteiinternen Wahlschlappe erfolgt. Anfang November hatte sich die Arbeitspartei für den ehemaligen Gewerkschaftsführer Amir Peretz als neuen Spitzenkandidaten für die Wahlen im März entschieden.
Obwohl zwei frühere Minister der Arbeitspartei für Kadima kandidieren und damit ihrer alten Partei Wähler abziehen, gewinnen auch die Sozialisten unter dem Strich an Sympathie im Volk. Anstelle der bisher 21 Mandate versprechen ihr aktuelle Umfragen der Jediot Achronot bereits sechs Parlamentssitze mehr. Allen Prognosen zufolge könnten Arbeitspartei und Kadima eine regierungsfähige Mehrheit stellen. Schon jetzt zeichnet sich eine entsprechende Koalition ab, wobei Scharon auch dem Likud eine Partnerschaft nicht abschlagen will, vorausgesetzt, seine früheren Parteifreunde ordnen sich seiner Agenda unter.
Der frische Wind bei den Sozialisten lockt die Wähler aufgrund der sozialen Agenda des neuen Chefs. Höchste Priorität hat die Erhöhung der Mindestlöhne. Peretz, der selbst aus Marokko stammt, soll darüber hinaus den leidigen Zwist zwischen Aschkenasen (aus Europa stammenden Juden) und Orientalen beilegen. Dabei sowie bei der Finanz- und Frauenpolitik will ihm die populäre Rundfunkjournalistin Scheli Jechimowitsch helfen, die sich von ihrem Job als Fernsehmoderatorin verabschiedete, um fortan „politische Fehlentscheidungen zu verhindern, anstatt sie nur zu kritisieren“.
Im Likud herrscht unterdessen aufgeregte Entrüstung über die für die Partei ungünstige Entwicklung. Als weiteren „Beweis dafür, dass Kadima sich nach links orientiert“, sieht Exfinanzminister Benjamin Netanjahu das Zusammengehen von Scharon und Peres.
Mitte Dezember wird im Likud der neue Parteivorsitzende gewählt. Netanjahu hat die besten Chancen. Doch auch er könnte laut Ha’aretz der Partei bei den Wahlen nicht mehr als zehn Prozent der Stimmen bringen. Die Wahlkampagne wird sich auf den Linksruck des ehemaligen Chefs konzentrieren, nach dem Motto: „Scharon gewählt, Peres bekommen.“
Verlierer der veränderten Parteienlandschaft ist auch die liberale Schinui, die laut Umfragen auf nur noch ein Drittel der jetzigen 15 Mandate kommen würde. Schmerzlich war für die antireligiöse Liste vor allem der Verlust des Schinui-Parteimitbegründers Uriel Reichmann, der sich ebenfalls diese Woche Scharons Kadima anschloss.
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