: Radikale Seelenchirurgie
LITERATUR In seinem neuen Roman „Dreck“ erzählt David Vann mit unerbittlicher Schärfe die Geschichte einer unmöglichen Flucht aus beklemmenden Familienverhältnissen
VON ROBERT MATTHIES
Ein ebenso erbarmungsloser wie virtuoser Chirurg der menschlichen Seele ist der US-Amerikaner David Vann. Seit seine Novelle „Sukkwan Island“ aus der Kurzgeschichtensammlung „Legend of a Suicide“ vor zwei Jahren als „Im Schatten des Vaters“ auf Deutsch erschienen ist, gilt der 46-Jährige auch hierzulande als sprachmächtiger Meister der Schilderung verstörend auswegloser Situationen.
Schnörkellos präzise erzählt Vann, dessen eigener Vater sich das Leben nahm, als er 13 war, in „Im Schatten des Vaters“, wie ein depressiver Vater seinen 13-jährigen Sohn in der Abgeschiedenheit Alaskas in den Selbstmord treibt. Auch „Die Unermesslichkeit“ hat Vann in einer Blockhütte auf einer einsamen Insel in Alaska angesiedelt: Ihrer Ehe wollen Gary und Irene noch eine letzte Chance geben. Aber auch hier kann deren Tochter Rhonda, selbst mit der eigenen Beziehung überfordert, nur mitansehen, wie die Eltern sich gegenseitig zu Grunde richten. Immer spielt dabei die Natur als Spiegel innerer Wildnis eine zentrale Rolle.
Auch im nun in einer Übersetzung von Miriam Mandelkow erschienenen Roman „Dreck“ (Suhrkamp, 296 S., 19,95 Euro) ist es die verlogene Kleinfamilien-Idylle einer kalifornischen Walnussplantage, aus der Protagonist Galen mit allen Mitteln auszubrechen versucht. Der Omnipräsenz der Mutter, den Besuchen bei der Großmutter, der Hitze, all dem Dreck und nicht zuletzt der Cousine, die ihre erotische Macht über den 22-Jährigen sadistisch auskostet, versucht Galen zu entkommen, indem er Castaneda und „Siddharta“ liest, Erleuchtung sucht, körperlos werden will. Bei einem Familienausflug aber eskaliert die Situation, die übermächtige Mutter wendet sich gegen den Sohn und es kommt zur letzten Auseinandersetzung. Mit kühl distanzierter Sprache bilanziert Vann unerbittlich den Preis, den die Flucht aus der Unentrinnbarkeit fordert. Am Dienstag stellt David Vann seine radikale Seelenchirurgie im Amerikazentrum vor.
■ Di, 12. 3., 19 Uhr, Amerikazentrum, Am Sandtorkai 48