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Archiv-Artikel

Im zentralen Höhlengrau

KUNST Die neuen Räume der Galerie Aurel Scheibler in Schöneberg blicken auf eine lange Geschichte zurück. Zu sehen sind dort nun die Zeichnungen des Bildhauers Stefan Löffelhardt. Sie sind von einer Region des Gehirns inspiriert, in der alte Erinnerungen gespeichert sind

VON BRIGITTE WERNEBURG

Es ist nicht so, dass es am alten Standort der Galerie Aurel Scheibler in der Kreuzberger Charlottenstraße kein Oberlicht gegeben hätte. Aber das Oberlicht der neuen Räume am Schöneberger Ufer 71 ist doch ein ganz besonderes. Denn es hat, obwohl es den Raum tadellos erhellt, echte Patina. Während das Oberlicht in Kreuzberg einer ansonsten fensterlosen Werkhalle gehört, ist das Oberlicht in Tiergarten für eine Galerie entworfen worden. 1927 gestaltete Hans Poelzig, der berühmte Architekt des Expressionismus und später der Neuen Sachlichkeit, die Räume für Ferdinand Möller, der sich mit seiner Galerie auf den deutschen Expressionismus spezialisiert hatte. Den Höhepunkt der Raumfolge bildete der abschließende quadratische Oberlichtsaal.

Zum Einzug schrieb der bekannte Kunstkritiker Curt Glaser im Berliner Börsen-Courier vom 12. August 1927: „Während um den Kemperplatz der Handel mit alter Kunst sich sammelt, hat die moderne Malerei in einem anderen Straßenviertel ein neues Heim gefunden. Die Gegend zwischen Schöneberger Ufer und Magdeburger Platz ist jetzt das wichtigste Ausstellungsviertel geworden. Es scheint, als sei die Wanderung der Läden innerhalb der Großstadt einem bestimmten Gesetz unterworfen.“ Das scheint in der Tat so zu sein. Und zwar bis heute, wo wir den Galerientross von Mitte in die Potsdamer Straße und deren nähere Umgebung wandern sehen.

Esther Schipper und Barbara Wien zogen von der Linienstraße ans Schönberger Ufer, wo dann noch Isabella Bortolozzi und im Dezember vergangenen Jahres eben Aurel Scheibler dazu stießen. Zuvor hatte die Gegend einen Jahrzehnte dauernden Niedergang erlebt, den einzelne leerstehende Gebäude in der Potsdamer Straße noch immer bezeugen. Dass nun wieder eine Galerie in die ursprünglichen Galerieräume am Landwehrkanal einzog, ist ein glücklicher Zufall. Speziell nach einem solchen Mieter gesucht hat der Gebäudereinigungsunternehmer Eberhard Sasse, der das Hause in Sichtweite der Neuen Nationalgalerie erwarb und renovierte, nicht.

Von der Quadratmeterzahl her hat sich Aurel Scheibler am neuen Standort verkleinert. Die Situation ist intimer, und das kommt bei einer Präsentation von Zeichnungen, wie sie jetzt in der Galerie zu sehen ist, ausgesprochen schön zur Geltung. Es handelt sich bei Stefan Löffelhardts „PAG“-Zeichnungen um großformatige Blätter, von denen jede einzelne Arbeit eine Wand durchaus beherrschen kann. Hier muss sie sich dafür nicht im Mindesten anstrengen.

Das Akronym PAG bedeutet übrigens periaquäduktales Grau. Jederzeit würde man nun den geheimnisvollen Begriff periaquäduktales Grau mit der flächigen Abstraktion der Blätter verbinden, in denen man felsige Abhänge, eine bewegte See, tolle Wolkenformationen oder den tief über einer bewaldeten Berggegend hängenden Dunst zu erkennen meint. Doch periaquäduktales Grau, auch zentrales Höhlengrau genannt, bezeichnet keinen zeichnerischen Tonwert, sondern eine Region im menschlichen Gehirn. Nach neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft sollen dort Jahrzehntausende alte Erinnerungen gespeichert sein. Und genau darum geht es Stefan Löffelhardt: um die Idee eines universalen Gedächtnisses, das er in seinen Bleistiftzeichnungen auszukundschaften sucht.

Die Dichte des Grafits

Es scheint folgerichtig, dass seine Zeichnungen keinen Horizont kennen, und in ihnen ein stark bildhauerisches Denken zum Ausdruck zu kommt, und zwar nicht deshalb, weil Stefan Löffelhardt tatsächlich als Bildhauer bekannt ist, sondern weil die Idee des Gedächtnisses dazu anregt. Im Speicher des Gedächtnisses sind die Erinnerungen in ihrer Menge unabsehbar und ununterscheidbar dicht gepackt. Man muss sie ausgraben. Erst ihre Oberfläche, die Dichte des Grafits, in der sich die Volumina, konvexe und konkave Formen anzeigen, lädt zum Lesen, Erforschen und Deuten ein.

Und so gehen wir vom ersten Bild an auf wir verschlungenen Traumpfaden, sehen Landschaften (PAGg11, 2013), allerdings – wie schon gesagt – ohne Horizont, vermuten Haut (PAG m08, 2011) und ahnen Gewitterwolken (PAG g13, 2012). Interessanterweise geschieht das in der Bewegung von einem Bild zum nächsten, aber es geschieht auch bei der Betrachtung von ein und demselben Bild (PAG m01, 2011). Erst ist es Wetter, dann ist es Stein, und danach sehen wir einfach viele weiche, dicht an dicht gefügte Bleistiftstriche durchkreuzt mit harten Linien, die wie Haare auf die Bildfläche gefallen zu sein scheinen.

Obwohl ihre Herstellung einige Zeit in Anspruch genommen haben dürfte und damit einen Versuch darstellen, die Welt zu entschleunigen, wie die Informationen zur Ausstellung sagen, wirken die Arbeiten doch auffällig kraftvoll und dynamisch und ausgesprochen haptisch. Sehr körperlich greifen sie in den Raum aus. Diese Spur lässt sich dann Dank der großartigen Idee des Regals hinter dem Schreibtisch weiterverfolgen, in dem noch einige kleinere Stücke, Collagen, Fotografien und Mixed-Media-Arbeiten zu sehen sind, die den bildhauerischen Grundzug im Werk von Stefan Löffelhardt weiter belegen.

■ Bis 13. April, Galerie Aurel Scheibler, Schöneberger Ufer 71, Di–Sa 11–18 Uhr