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Archiv-Artikel

Aufgebrühte Kanzlerin

Aufgießen, umschütten, warten: Warum Teekochen so kompliziert ist. Oder so einfach

VON KATHRIN SCHRADER

Tan Kutay streut einige Blättchen Tee in ein Porzellangefäß. „Wunderbar weich“, kündigt er den Genuss an. „Erinnert an Waldbeeren. Langer, vollmundiger Nachhall, beinahe sahnig.“ Er lässt das Wasser auf achtzig Grad abkühlen, übergießt dann den Tee, schüttet das Wasser aber sofort wieder weg: Dieser erste Aufguss dient lediglich dazu, die Blätter zu waschen. Dann gießt er in hohem Bogen erneut Wasser über den taiwanischen Spitzentee, wartet eine Minute und verteilt ihn auf zwei winzige Porzellanschälchen. Der Special Gin Shan Wu Long (50 Gramm kosten 12 Euro) schimmert gelbgrün. Sein Geschmack nach dunklen Früchten steigt vom Gaumen in die Nase. Es ist, als atme der Tee.

Man könnte Tan Kutay für einen Studenten halten, der gern Tee trinkt und im Berliner Teesalon jobbt – einem exklusiven Geschäft, in dem der Tee auch zur Verkostung angeboten wird. Doch Tan Kutay ist längst kein Student mehr. Seine Arbeit ist seine Passion. Er fährt auf Teebörsen nach China, Taiwan, Indien und Japan, wählt aus und kauft ein. Im Teesalon, zwischen Vitrinen mit kostbaren Teegeschirren und Accessoires für die Zeremonien, probiert er, bei welcher Temperatur der wievielte Aufguss der neu eingetroffenen Pflückung am besten schmeckt.

Helle Tees – von fast farblosen Grüntees über grasgrüne japanische Sorten bis zu den teilfermentierten Oolongs in Beige- und Brauntönen – setzen sich in Deutschland nur schwer durch. Tan Kutay führt das auf die falsche Zubereitung zurück. Nicht für alle gilt die Formel: 80 Grad heißes Wasser, 2 Minuten ziehen lassen. Im Berliner Teesalon führt er für seine Kunden den Gegenbeweis. „Jetzt habe ich einen japanischen Tee entdeckt, der kochend aufgegossen am besten schmeckt. Den lasse ich nur zehn Sekunden ziehen.“

Werner Schmitt ist der Inhaber von King’s Teagarden, einem Fachgeschäft am Berliner Kurfürstendamm. Er provoziert mit einem Regelwerk, das er Teeologie nennt. Punkt 1: Vor Gott sind alle Tees gleich. Ob grün oder schwarz – Schmitt übergießt sie mit siedendem Wasser und lässt sie drei Minuten ziehen. Gegen diese Art der Gleichmacherei rebellieren Teekenner. „Das ist Tee-Apartheid“, kontert Schmitt. „Grüner Tee ist doch nicht wertvoller als schwarzer.“ Werner Schmitt weiß, dass Provokationen gut fürs Geschäft sind. Man spricht über ihn. Pünktlich zum Wahlkampf präsentierte Werner Schmitt „Die Kanzlerin“, eine Mischung aus feinen Darjeelings (125 Gramm kosten 12,95 Euro). „Die Kanzlerin ist ein zarter, blumiger Genuss“, schwärmt er.

Lieber als über Tee spricht der Provokateur über seinen lokalpolitischen Kampf gegen den kulturellen Verfall des Ku’damms. Seit 1979 ist er hier. Im Sommer 2005 schloss Schmitt wegen Streitigkeiten mit dem Vermieter sein Ladengeschäft. Seitdem verkauft er ab Lager. Nach wie vor bestellen seine Kunden aus der ganzen Welt per E-Mail, Telefon oder per Post. Herr Schmitt im Anzug hinter dem Tresen, klassische Musik nonstop bis hinaus auf den Bürgersteig – zuletzt war King’s Teagarden ein Bollwerk gegen den Untergang der einstigen Prachtstraße Westberlins. Schmitt gibt nicht auf. Er kämpft für den Schutz kleiner, inhabergeführter Läden und gegen Milchkaffee aus Pappbechern. Bis Werner Schmitt neue Geschäftsräume gefunden hat, bleibt ihm nur das Internet als Anschlagtafel seiner Teeologie.

Punkt 2 darin lautet: Teekannen sollten mit Geschirrspülmittel gereinigt werden – der nächste Schock für eingeschworene Teetrinker, erkennen sie sich doch an der Patina ihrer Kannen. Ein Irrtum, der aus der Zeit herrührt, als man Tee in Silberkannen servierte. Silber reagiert mit Tee und verdirbt den Geschmack; erst die Ablagerung des Tees verhindert dies. Punkt 3: Statt Teefiltern und -sieben braucht man eine Kanne zum Aufgießen und eine zum Abgießen. Punkt 4: Auf eine Kanne Tee für zirka drei Tassen gehört ein Stück weißer Kandis, um die Eigenaromen des Tees zu betonen. Auch das entsetzt Puristen, lehnen sie doch die Verschönerung des Tees mit Zucker ab.

Es gibt aber auch Genießer, die Schmitts Ansicht teilen. „Alles, was den Geschmack des Tees nicht zerstört, ist in Ordnung“, sagt Frank Benjowski vom gleichnamigen Teehandelshaus. Er empfiehlt auch den Schuss Milch in einem kräftigen Assam. Diese Tees aus der tropischen Ebene des Bramaputratals haben einen charakteristischen malzigen Geschmack. Milch federt diesen ab, macht ihn weicher. Benjowski erlaubt sogar einige Spritzer Zitrone im Ceylontee. Aus Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, kommen frisch schmeckende Schwarztees, die tiefrot in der Tasse schimmern. „Zitrone gibt ihnen eine besonders schöne Farbe“, sagt er.

Zweimal im Jahr reist der Teehändler aus Prenzlauer Berg nach China. Dort wählt er die Ernten für sein kleines Geschäft selbst aus. Er kennt die Bauern. Er kennt die Händler. Mit allen hat er bereits eine Tasse Tee getrunken. „Mach es wie die Chinesen“, sagt Benjowski. Er nimmt eine Prise Tee, gibt sie in eine große chinesische Teeschale und gießt heißes Wasser auf. „Kann man immer wieder aufgießen, bis der Tee nichts mehr hergibt.“ Das übliche chinesische Teeritual für den Alltag.

Wenn die Leute sich mit aromatisierten Tees besser entspannen können, sollten sie diese trinken, erklärt er pragmatisch. Auch Aromen werden von vielen abgelehnt. Doch in Benjowskis kleinen, farbenfrohen Laden kommen eben nicht nur gelernte Teetrinker, deren Einkommen jeden Nachmittag einen Darjeeling aus höheren Lagen erlaubt, sondern auch junge Leute, die Grüntee mit Mangogeschmack schick finden.

Das letzte Tabu der Hochkultur ist Beuteltee. Dazu will Frank Benjowski sich nicht äußern. „Das ist nicht mein Thema.“ Dann muss er aber doch noch etwas dazu sagen. Beuteltee sei besser als gar kein Tee. Es gebe sogar guten Tee in Beuteln. Aber die meisten seien schlecht und zu teuer. Bei ihm könne man einen guten Tee lose für weniger Geld kaufen.

Aber was ist ein guter Tee? „Er ist klar in der Tasse. Er duftet harmonisch. Auf keinen Fall darf er muffig riechen“, sagt Benjowski. Einen guten Tee erkennt man auch am Bild. Die einzelnen Blätter sind deutlich zu unterscheiden. Sie sind nicht zerbröselt oder staubig. Darüber hinaus ist es vor allem eine Frage des Geschmacks und der Stimmung, welcher Tee gut ist. Morgens regt ein kräftiger Assam die Sinne an, am Nachmittag sind die Geschmacksknospen wach für die feineren Aromen des Darjeelings. Das legendäre Anbaugebiet in den Bergen im Norden Indiens bringt besonders aromatische Tees hervor. Darjeeling gilt als der Inbegriff des feinen Tees und bildet die Basis der klassischen Fünfuhrtees.

Man trinkt an einem Sommernachmittag im Garten andere Tees als zum Video an einem Winterabend. Zur Plauderei mit Freunden passt ein anderer Tee als zur Arbeit im Büro. Die langen Regelwerke einer Teezeremonie drehen sich auch darum, welcher Tee wann mit wem warum am besten harmoniert. Und welche Blumen dazu passen. Richtig Tee trinken – ein weites Feld.

KATHRIN SCHRADER, 39, ist freie Journalistin in Berlin