Elbvertiefung vergrößert Sauerstoffloch

WWF wertet Monitoring aus und kommt zu dem Schluss: Die Folgen des Ausbaus für den Strom sind schlimmer als erwartet. Zuständige Behörde hält die Schlüsse der Umweltschützer für wissenschaftlich nicht belegt und zum Teil voreilig

von GERNOT KNÖDLER

Der Elbe geht es schlechter als nach der jüngsten Elbvertiefung von 1999. Aus Sicht des World Wide Fund for Nature (WWF) spricht viel dafür, dass die festgestellte Vergrößerung des Sauerstofflochs, die Zunahme mikroskopisch kleiner Schwebstoffe und das Verlanden der Nebenelben auf den Fahrrinnenausbau zurückzuführen sind. Behördenvertreter halten diese Zusammenhänge nicht für belegt.

Der WWF hat die Beweissicherungsberichte aus den Jahren 2003 und 2004 ausgewertet, in denen die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) feststellt, wie sich der Strom seit der Vertiefung verändert hat. Die Umweltschäden zwischen Hamburg und Nordsee sind demnach größer als prognostiziert. „Die Belastbarkeit des Ökosystems ist überschritten“, sagt Beatrice Claus, Co-Autorin der WWF-Studie. „Die Unterelbe stirbt durch die mehrfachen Vertiefungen einen langsamen Tod.“

Die Umweltschützer stellen zunächst fest, dass der Sauerstoffgehalt in den besonders warmen Monaten geringer geworden ist als in den Jahren vor der Elbvertiefung. Außerdem habe sich die Flussstrecke mit niedrigem Sauerstoffgehalt von Hamburg abwärts immer weiter ausgedehnt: Das Loch wurde tiefer und breiter.

Die WSD erklärt das Loch damit, dass oberhalb Hamburgs übermäßig viele Nährstoffe von in den Fluss gespült werden und dort die Algen wachsen lässt. Werden die Algen mit dem Strom ins tiefe Wasser des Hafens gespült, sterben viele mangels Licht. Bakterien bauen die toten Algen unter Verbrauch von Sauerstoff ab. Gibt es im Sommer besonders viele dieser Algenleichen, fehlt es an Sauerstoff für die Fische.

Der WWF hat jetzt festgestellt, dass der Sauerstoffbedarf für diesen Abbau oberhalb des Hafens konstant blieb, während er unterhalb des Hafens stark zugenommen hat. Er zieht daraus den Schluss, dass der starke Sauerstoffverbrauch im Hafen nichts mit der Überdüngung oberhalb Hamburgs zu tun haben könne. „Als Ursache für die zu beobachtende Vertiefung und Verbreiterung des Sauerstoffdefizitbereichs nach 1999 muss deshalb angenommen werden, dass das Sauerstoff zehrende Material langsamer aus dem Süßwasserbereich der Tideelbe ausgetragen wird.“ Ergo würde mehr davon im und in den Kilometern unterhalb des Hafens abgebaut, was die Verbreiterung des Sauerstofflochs erklären würde.

Dafür spreche auch die Zunahme besonders feiner Schwebstoffteilchen, wie sie im Sediment gemessen und durch Modellrechnungen ermittelt worden seien. Der WWF prognostiziert daher eine Vergrößerung des Sauerstofflochs, wenn der Flutstrom sich gegenüber dem Ebbestrom verstärke.

Jürgen Osterwalds von der WSD hält diese Indizienkette nicht für belastbar. Dafür, dass das Sauerstoffloch ab dem Hafen zugenommen habe, könne es auch andere Erklärungen geben als die Elbvertiefung. Dass der Flutstrom stärker geworden sei, lasse sich nicht belegen. Andere Daten müssten mit den Autoren der Studie diskutiert werden, um sie bewerten zu können.

In den Augen des WWF besonders fatal ist, dass auch die Nebenarme der Elbe als Rückzugsräume der Fische gelitten hätten. Das Mehr an Sauerstoff, das in diesen Nebenarmen enthalten sei, habe beispielsweise in der Hahnöfer Nebenelbe zwischen 1990 und 2005 um 76 Prozent abgenommen. Diese Differenz bezieht sich allerdings auf zwei Extremwerte, wobei die Wahl des Basisjahres nicht begründet wurde. Ein gewisser Rückgang seit 1999 ist allerdings feststellbar. Bei der Lühesander Süderelbe ist eine Veränderung dagegen kaum auszumachen.

Der WWF stellt außerdem fest, dass sich in der Wedeler Au, der Hahnöfer Nebenelbe und auf dem Nordufer des Hanskalbsands vermehrt Sediment abgelagert hat. Es sei damit zu rechnen, „dass in absehbarer Zeit Flachwassergebiete völlig verschlicken und damit als aquatische Lebensräume wegfallen“.

Die WSD habe in ihren Untersuchungen die Folgen der Unterhaltungsbaggerei vernachlässigt, durch die ständig Sediment aufgewirbelt wird und sie habe die Sauerstoffdaten nicht hinreichend ausgewertet, kritisiert der WWF. Claus: „Die Behörden sind offenbar auf dem Umweltauge blind.“

Osterwald würde das nicht auf sich sitzen lassen. Die Sensibilität für Umweltveränderungen sei bei den Behörden stark gestiegen. Die Datenbasis sei aber zu dünn für sichere Aussagen: Sechs Jahre seit der jüngsten Elbvertiefung seien ein zu kurzer Untersuchungszeitraum.