Zwangskomplex Offenbachplatz

BÜHNENPROTEST Kölns Schauspielchefin Karin Beier ist gegen den beschlossenen Neubau ihres Theaters. Jetzt drohen auch noch Kürzungen aus dem Kulturetat. Ob Beier ihren Vertrag verlängert, ist ungewiss. Unterstützt wird sie von bekannten Künstlern und Intellektuellen

VON ALEXANDER HAAS

Der öffentliche Protest der Intendantin Karin Beier und großer Teile der Kunst-, Architektur- und Kulturszene Kölns gegen den Neubau des Schauspielhauses am Offenbachplatz hat nichts genützt. Kurz vor Weihnachten fasste der Stadtrat den Beschluss, der Abriss des alten Hauses soll nach dem Ende der laufenden Spielzeit beginnen. Zudem wird gleichzeitig das unmittelbar angrenzende Opernhaus saniert.

Karin Beier stehen nun vier Jahre Interimsunterkunft in einer modernisierten Industriehalle am Rand des Zentrums bevor, dann die Rückkehr in einen Neubau, den sie nicht wollte. Für die erfolgreiche Schauspielchefin könnten aber vor allem die vom Stadtkämmerer angedrohten Kürzungen im Kulturetat das Fass zum Überlaufen bringen. 12,5 Prozent stehen im Raum. Für den rein künstlerischen Etat Beiers könnte das eine Senkung um etwa 1,7 Millionen Euro bedeuten: „Damit könnte ich den Repertoirebetrieb in der aktuellen Qualität und Quantität nicht mehr aufrecht erhalten und mir das bestehende Ensemble sowie die Gäste nicht mehr leisten.“ In Zukunft also nur noch halbe Kraft voraus für das aufstrebende Kölner Theater?

Diese finstere Aussicht stellt nur einen der Gründe dar, weshalb Beier gegen den Neubau war und ist, für den die Stadt 295 Millionen Euro ausgeben will. Mindestens 40 Millionen Euro weniger hätte laut Beier eine Sanierung gekostet. Insgesamt hätten sich ihr zufolge damit etwa zwei Millionen Euro für den künstlerischen Etat einsparen lassen, also ungefähr so viel, wie dem Schauspiel möglicherweise gekürzt werden soll.

Amputierter Entwurf

Karin Beier hat zuletzt große Erfolge bei Publikum und Kritik gefeiert mit Schauspielstars wie Maria Schrader, Manfred Zapatka und Patricia Ziolkowska, mit Produktionen, die mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen waren und mit denen sie den „Faust“-Preis gewann. Dafür lobte auch das offizielle Köln die Intendantin allzu gerne.

Im Sommer wird Beier über ihren 2012 auslaufenden Vertrag verhandeln. Längst wird darüber spekuliert, ob sie Köln angesichts des Szenarios aus verpufftem Protest und möglichen Etatkürzungen verlässt. Den Ratsbeschluss akzeptiere sie, sagt die Intendantin. In seiner ersten Fassung stammt dieser von 2006, war ihr also bei ihrem Antritt 2007 bekannt. Was die Frage ihres Verbleibs angeht, „kommt es wirklich darauf an, wie hoch die Etatkürzungen ausfallen. Ich möchte jedenfalls nicht im Niveau absinken.“ Verantwortlich sparen kann und will Karin Beier allerhöchstens, indem sie weniger produziert und mehr Schließtage einplant. Das aber führte den Neubaubeschluss ad absurdum. Denn ein wesentlicher Grund dafür war, das Kölner Theater auf die Repertoirefähigkeit vergleichbar großer Konkurrenzhäuser in Wien, Hamburg oder München zu bringen.

Doch nach den jüngsten Fehlentwicklungen spricht auch darüber hinaus nicht mehr viel für den Bau eines neuen Theaters. Von den zahlreichen Vorteilen des 2006 erstmals und zurecht beschlossenen Entwurfs sind kaum welche übrig. Von damals stammt die Grundidee, das Opernhaus zu sanieren, das Schauspielhaus sowie das Restaurantgebäude Opernterrassen abzureißen. Das Schauspiel solle am selben Ort gebaut werden. Alle drei Bauten stammen aus der Hand des Kölner Architekten Wilhelm Riphahn, errichtet zwischen 1957 und 1962. Zusammen bilden sie ein formensprachlich herausragendes, Köln-spezifisches Ensemble.

Mut zur Kultur

Den Wettbewerb für dieses Quartier gewann 2008 die Architektengemeinschaft Chaix & Morel (Paris) und JWSD (Köln). Für das neue Schauspiel sieht ihr Entwurf einen mächtigen Kubus aus mehreren geschichteten Würfeln vor, der den Offenbachplatz neu strukturieren und so eine Belebung des Areals bringen soll.

Das unumstrittene Argument für den Neubau war aber die Integration der Werk- und Produktionsstätten, die bislang über die Stadt verteilt und so für erheblichen Personal- und Kostenaufwand verantwortlich waren. Außerdem waren ein Orchester- und Tanzproberäume vorgesehen sowie ein Restaurant. Die Kosten explodierten nach einem Jahr von veranschlagten 230 auf 364 Millionen Euro. Es folgten ein Planungsstopp, der Einsturz des Stadtarchivs, die Kommunalwahlen und ein neuer Bürgermeister.

In der jetzt beschlossenen Minimalvariante fehlen alle Verbesserungen, die die Vollversion so attraktiv machten. Doch die Stadt hält an ihrem Plan fest und schiebt Sachzwänge vor. Durch einen Verzicht auf den Neubau handele man sich etwa eine Klage der Architekten ein. Für dieses selbstverschuldete Dilemma erntet die Stadt Häme von den Protestierenden, darunter Künstler und Intellektuelle wie Rosemarie Trockel, Navid Kermani oder Museum-Ludwig-Chef Kasper König: „Nichts wirkt provinzieller als eine ‚große Geste‘, die zu kurz greift“, so die Kritiker. Sie wollen weiterkämpfen, schreiben sie in ihrem Aufruf „Mut zur Kultur“.