Grenzpatrouille rammt Flüchtlingsboot

SPANIEN Sieben marokkanische Flüchtlinge starben vor Lanzarote, als die spanische Guardia civil ihr Boot rammte. Der Prozess sollte schon eingestellt werden – jetzt bringt ein Video die Wahrheit ans Licht

MADRID taz | Der spanische Sender Cadena Ser überführt den Grenzschutz der Lüge. Gestern veröffentlichte die Radiostation, die zum Verlagshaus der größten Tageszeitung des Landes, der El País, gehört, auf der Homepage ein Video, das zeigt, wie ein Patrouillenboot der Guardia civil ein mit 25 marokkanischen Flüchtlingen besetztes Boot vor der Küste der Urlaubsinsel Lanzarote rammt. Bei der Tragödie, die sich in der Nacht vom 12. auf den 13. September vergangenen Jahres abspielte, kam ein Flüchtling ums Leben, sechs weitere verschwanden für immer in den Fluten des Atlantiks. Die Überlebenden wurden alle – bis auf den Kapitän und drei Minderjährige – umgehend nach Marokko abgeschoben. Bisher hatte die vierköpfige Besatzung des Patrouillenbootes immer ausgesagt, das Flüchtlingsboot sei zickzack gefahren, um zu entkommen, und habe dabei das Boot der Grenzschützer gerammt.

Das Video, aufgenommen von der Überwachungszentrale des Grenzschutzes mittels einer der an den Küsten Spaniens aufgestellten Kameras des von der EU mitgebauten Integralen Systems der Überwachung der Außengrenze (SIVE), zeigt anderes. Das Flüchtlingsboot beschleunigte, um zu entkommen. Als die Patrouille mit hoher Geschwindigkeit die Verfolgung aufnahm, schaltete der Kapitän des Flüchtlingsbootes den Motor ab. Resigniert warteten die 25 auf ihre Festnahme. Entgegen aller Dienstvorschriften, die verlangen, dass sich die Grenzschützer mit einem der mitgeführten Schlauchboote den kleinen Flüchtlingsschiffen nähern, nahm die Guardia civil mit voller Geschwindigkeit Kurs auf das Flüchtlingsboot. Um 2 Uhr 19 und 9 Sekunden in der Frühe kam es zu dem fatalen Zusammenstoß. Das Flüchtlingsboot sank sofort. Die Aufnahmen der 1,2 Kilometer entfernten Wärmekamera zeigen schwarze Punkte im Wasser. Es sind die verzweifelten marokkanischen Opfer. Die Guardia civil rief ebenfalls vorschriftswidrig die Hochseerettung nicht zur Hilfe.

Die Aufnahmen liegen dem Gericht seit mehreren Wochen vor, ohne dass sie bekannt wurden. „Alles sah bisher nach einer Einstellung des Verfahrens aus. Jetzt muss die Untersuchung neu aufgenommen werden“, verlangt Mónica García, Vorsitzende der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation Red Acoge. Bisher hatte die Richterin den Aussagen der Abgeschobenen, wonach das Patrouillenboot sehr schnell auf sie zugekommen sei, keine Beachtung geschenkt. REINER WANDLER