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Jetzt wird abgerechnet!

Die Rentenkassen sind leer. Das Problem: Es gibt immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler. Die Folgen: Das Rentenalter wird erhöht, die Rentenbeiträge steigen, der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung wird gekappt, die Renten stagnieren oder sinken sogar

Die Einnahmen decken die Ausgaben schon länger nicht mehrMaßnahmen gegen die Misere gehen auf Kosten der heutigen Arbeitnehmer

VON SABINE AM ORDE

Den Rentnern kann es eigentlich egal sein. In diesen Tag läuft die Dezemberrente auf ihren Konten ein, so wie es immer zu Beginn des Monats geschieht. Sie pünktlich zu bezahlen aber war für die Rentenversicherung ein Kraftakt: Sie musste sich 900 Millionen Euro beim Bund ausleihen. Das ist zwar nicht viel angesichts der Gesamtausgaben von fast 230 Milliarden Euro für die Rente in diesem Jahr. Es zeigt aber, wie desolat die Finanzlage der Rentenversicherung ist.

Zwar decken die Einnahmen die Ausgaben schon länger nicht mehr, doch bislang konnte sich die Rentenversicherung mit einem Trick retten: Sie nahm die monatlichen Bundeszuschüsse, die ihr sowieso zustehen, früher in Anspruch. Doch jetzt waren sie größtenteils bereits verbraucht. Der Kredit soll noch in diesem Jahr zurückgezahlt werden. Das kann klappen, weil es im Dezember Weihnachtsgeld gibt und die Rentenversicherung deshalb mehr einnimmt. Sie muss aber auch an ihre Notgroschen ran, die so genannte Schwankungsreserve. Diese wird damit fast vollständig aufgebraucht sein – obwohl sie laut Gesetz eigentlich 20 Prozent einer Monatsausgabe umfassen muss. Ende des Jahres werden es noch sieben Prozent sein.

Um die Finanzmisere der Rentenversicherung zu lindern, hat die große Koalition zahlreiche Maßnahmen beschlossen, die meisten davon gehen auf Kosten der heutigen Arbeitnehmer: Ab 2007 soll der Beitragssatz von heute 19,5 auf 19,9 klettern. Außerdem soll ab 2012 das Renteneintrittsalter schrittweise von heute 65 auf 67 ansteigen. Versicherte zahlen dann entweder zwei Jahre länger Beiträge und kassieren zwei Jahre weniger Rente – oder sie müssen Abschläge bei ihren Rentenzahlungen in Kauf nehmen. Zudem will Schwarz-Rot einen so genannten Nachholfaktor in die Rentenformel einbauen, der heutige und spätere Rentner trifft: Er wird künftige Rentenerhöhungen schmälern. All das entlastet die Rentenkasse.

Gleichzeitig aber will die Koalition den Haushalt sanieren und geht an die Einnahmen der Rentenversicherung ran. „Die Maßnahmen im Koalitionsvertrag passen eindeutig nicht zusammen“, kritisiert Alexander Gunkel, der Vorstandschef der Rentenversicherung Bund, und mahnt „erheblichen Nachholbedarf“ an. Ansonsten würden die Renten stärker sinken als das Gesetz erlaubt: Danach darf das Rentenniveau bis 2020 nicht unter 46 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens fallen, nach der Berechnung der Versicherer wären es bei Umsetzung dieser Maßnahmen aber nur 45 Prozent im Jahr 2020. Auch der vorgesehene Beitragssatz sei nicht zu halten. Bereits 2007, so Gunkels Prognose, sei ein Beitragssatz von 20 Prozent vonnöten, 2008 und 2009 sogar von 20,1 Prozent. Mit sinkenden Lohnnebenkosten, die Schwarz-Rot so dringend erreichen will, hat das wenig zu tun.

Ein Sprecher von Bundessozialminister Franz Müntefering (SPD) weist dieses Szenario zurück. Im Koalitionsvertrag sei ein eindeutiger Kurs zur Stabilisierung der Rentenbeiträge beschrieben, meint er.

Das sieht der Vorstand der Rentenversicherung anders. Besonders zwei Maßnahmen stoßen auf Kritik. Hauptstreitpunkt dürfte die Höhe des Bundeszuschusses werden. Derzeit zahlt der Bund in monatlichen Raten jährlich insgesamt 80 Milliarden Euro an die Rentenversicherung, 55 Milliarden davon als Zuschuss. Die Höhe dieses Zuschusses ist bislang unter anderem an die Entwicklung der Beitragssätze gekoppelt. Steigen diese, erhöht sich auch der Bundeszuschuss. Wenn die Koalition den Beitragssatz wie derzeit geplant anhebt, müsste der Bund 800 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.

Das will die Koalition aber nicht: Der Zuschuss soll eingefroren oder der Anstieg zumindest stark gedämpft werden.

Der Zuschuss sei weder „übertrieben hoch“ noch ein Geschenk an Rentner und Beitragszahler, kritisiert DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer, die für die Arbeitnehmer im Vorstand der Rentenversicherung sitzt. Ein großer Teil werde für gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie familienpolitische Leistungen ausgegeben. Werde der Zuschuss festgeschrieben, stelle der Bund den bisherigen Konsens in Frage, Belastungen zwischen Beitragszahlern, Rentnern und Staat auszutarieren.

Zudem will der Bund für Empfänger von Arbeitslosengeld II künftig geringere Rentenbeiträge bezahlen. Statt heute 78 Euro im Monat sollen es ab 2007 nur noch 40 Euro sein. Aus den 4,24 Euro Monatsrente für jedes Beitragsjahr würden 2,18 Euro. Das ist schlecht für die Langzeitarbeitslosen und auch für die Rentenkasse. Sie verliert, so die Schätzung, jährlich zwei Milliarden Euro.

Zunächst aber wird sich im kommenden Jahr die Lage der Rentenversicherung vorübergehend etwas entspannen. Das ist einem Trick geschuldet, den sich Ulla Schmidt (SPD) ausgedacht hat, die bislang im Kabinett für die Renten zuständig war. Die Arbeitgeber müssen die Sozialversicherungsbeiträge zwei Wochen früher überweisen als bislang. Deshalb gehen im kommenden Jahr 13 statt zwölf Zahlungen bei der Rentenversicherung ein. Das funktioniert aber nur ein Mal.

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