: Das Bildergedächtnis
FOTO Stefan Moses, „Deutschlands Emigranten“
Sein Foto von Theodor W. Adorno ist eine Ikone. Die Aufnahme, obwohl denkbar weit entfernt vom repräsentativen Porträt, ist in unserem kollektiven Bildergedächtnis fest verankert: Wie der Philosoph da hockt, auf dem Stahlrohrstuhl vor dem mannshohen Schneiderspiegel, in dem nicht nur er, sondern auch die auf ein Stativ geschraubte Kamera sichtbar ist, deren Auslöser er in der Hand hat, um ihn zu einem ihm genehmen Zeitpunkt zu drücken.
Stefan Moses hat die Szene 1963 arrangiert und fotografiert. Der 1928 im niederschlesischen Liegnitz geborene Fotograf war zu dieser Zeit einer der wichtigen Fotoreporter des Sterns. Daneben arbeitete er an ersten freien Projekten. „Die großen Alten“, die er stets zu einem Waldspaziergang einlud, gehörten dazu oder die Bildserie, für die Adorno, aber etwa auch Ernst Bloch und Hans Mayer den Auslöser in die Hand nahmen: „Selbst im Spiegel“.
Unsentimentale Porträts
Verschiedene Bilder aus diesen und weiteren Serien fanden dann in Stefan Moses’ kardinalen Bildband „Deutsche“ Eingang, der 1980 erschien. Einige dieser Bilder sind nun wieder in dem Band „Deutschlands Emigranten“ zu bestaunen und bewundern, der diesen Monat im Schweizer Nimbus Verlag erscheint.
Christoph Stölzl, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums und noch aus seinen Tagen als Leiter des Münchner Stadtmuseums mit Stefan Moses befreundet, hat das Vorwort geschrieben. Es ist ein kurzer konziser Abriss der Geschichte der Emigration nach 1933 und dazu eine kleine Biografie von Stefan Moses. Als „Halbjude“ konnte er noch bis 1943 in Breslau das traditionsreiche Zwinger-Gymnasium besuchen, musste dann aber die Schule verlassen und arbeitete im Fotoatelier von Grete Bodlée, auch sie ein sogenannter Mischling. 1944 kam er in die Zwangsarbeiterlager Ostlinde und Grünberg, konnte aber im Februar 1945 fliehen. 1947 wird er ans Nationaltheater Weimar engagiert. 1950 übersiedelte er nach München.
Für ihn als potenziellen Emigranten habe die Begegnung mit wirklichen Emigranten immer eine besondere Bedeutung gehabt, gibt Christoph Stölzl seinen Freund wieder. Das ist dem Band jederzeit anzusehen. Nicht nur, weil er durchweg herausragende Porträtfotografien versammelt, sondern auch aufgrund des langen Zeitraums, während dem sich Stefan Moses mit dem Thema auseinandersetzte, und der Vielzahl von Personen, deren Erinnerung er mit seiner Kamera festhielt.
Nicht alle sind sie uns heute noch vertraut. Die ersten Aufnahmen stammen aus den späten 1940er, die letzten aus den frühen 2000er Jahren. Einige der Porträtierten nimmt er Jahre später erneut auf wie Willy Brandt 1965 und 1984 oder Friedelind Wagner 1961 und 1980. Nicht alle Emigranten, das zeigt das Beispiel Friedelind Wagner, waren aufgrund ihrer Rassenzuschreibung und oder Parteizugehörigkeit mehr oder weniger gezwungen zu emigrieren. Felix H. Man etwa, auch er ein bekannter Fotojournalist, verließ Deutschland, weil er die Ideologie des Nationalsozialismus ablehnte.
So intelligent und eindrücklich die Geschichte der Emigration in allen ihren Facetten in den Aufnahmen von Stefan Moses deutlich wird, so sehr gerät dessen Kunst der Fotografie in den Hintergrund. Christoph Stölzl, der Moses einmal als den „Schöpfer des bundesrepublikanischen Stils“ gewürdigt hat, verliert leider kein Wort zu den Fotos selbst (nur zu den Porträtierten). Das ist schade. Allein die Editionsgeschichte der Bilder lieferte einen interessanten Einblick in die Befindlichkeit der Republik. Und erst recht gilt es darauf hinzuweisen, wie eindringlich, also wie unsentimental und ideenreich Stefan Moses seine Mitspieler ins rechte, also ins vorhandene natürliche Licht rückte.BRIGITTE WERNEBURG
■ Stefan Moses: „Deutschlands Emigranten“. Nimbus Verlag, Wädenswil 2013, 190 Seiten, ca. 160 Fotos, 39 Euro