: Schwarzhändler der vier Jahreszeiten
SINNLICHE GEWISSHEIT Eine Werkschau im Arsenal würdigt die Filme des großen Schweizer Trivialkünstlers Daniel Schmid. Zwanglos war das Bilderkino, von dem er träumte. Schmid hatte ein entspanntes Verhältnis zur Zeit
VON STEFAN GRISSEMANN
Als Schmuggler sah er sich selbst, als Kunst- und Gefühlsschieber, der seine Hehlerware am liebsten dort einschleuste, wo man mit solchen Transaktionen gerade nicht rechnete. Er nützte TV-Routineaufträge, um seinen Formenexperimenten nachzugehen, er verwandelte Revuegeschichten in Autorenfilme und verrückte das Dokumentarische leichthin in die Phantasterei.
„A Smuggler’s Life“ nannte der aus Graubünden stammende Filmemacher Daniel Schmid 1999 seine Autobiografie, die er charakteristisch nicht in Worten, sondern in Bildern schrieb. Er entdeckte das Kostbare gern im Billigen, das richtige Leben im falschen, die große Emotion in der kleinen Kolportage. Als Künstler in den späten sechziger Jahren sozialisiert im Kreis um Werner Schroeter, Rosa von Praunheim und Rainer Werner Fassbinder, aber sanfter, vornehmer – soll man sagen: schweizerischer? –, blieb Schmid im europäischen Kino eine Rarität: ein nobler Radikaler.
Es genügt, sein 45-minütiges Regiedebüt zu sehen, um ermessen zu können, wie zwanglos das Bilderkino war, von dem er träumte: Der nach Jonathan Swift betitelte Film „Thut alles im Finstern, Eurem Herrn das Licht zu ersparen“ (1970) verschränkt italienische Palazzo-Architektur mit kryptisch angerissenen Geschichten von Dienerschulen und alten Mussolini-Anhängerinnen. Schmid feiert wie Schroeter die Ekstase des Opernhaften und wie Straub/Huillet die reine Präsenz der Körper, der Worte und der Räume. Dabei hegt er ein entspanntes Verhältnis zur Zeit: Volle zehn Minuten wendet Schmid für eine absonderliche, von Panflöte begleitete Szene auf, die eine Handvoll herumirrender Menschen in einem Gartenlabyrinth zeigt.
Mit dem Kino hatte er sich da erst ein paar Jahre ernsthaft befasst. Als gelangweilter Geschichtsstudent in Berlin bewarb er sich 1966 an der neuen DFFB und setzte sich im Prüfungssaal zu dem einzigen Kollegen, der keine Krawatte trug: Es war Fassbinder, der (anders als Schmid) die Prüfung nicht bestehen sollte – der Kontakt riss ab. Erst 1969 trafen die beiden erneut aufeinander; bei der Gelegenheit lernte Schmid auch Ingrid Caven kennen. Er blieb, obwohl er sich eher dem Kreis um Praunheim und Schroeter verbunden fühlte, in Fassbinders Nähe. Dabei bereicherte einer das Werk des anderen. Es war etwa Schmid, der 1971 den schönen Filmtitel „Händler der vier Jahreszeiten“ erfand – und ihn seinem Freund vermachte. Eine Art ménage à trois mit variablen Macht- und Begehrensverhältnissen entstand zwischen Schmid, Caven und Fassbinder, aus der langfristig alle Beteiligten Profit zogen.
Aus der schönen Caven wurde Schmids Ersatz-Dietrich, die depressive Version des Sternberg-Superstars für die Mythenrecycling-Generation der Siebziger: der flaue Engel. Folgerichtig nannte Schmid 1976 seinen vielleicht besten Film „Schatten der Engel“ – ein hochstilisiertes Trauerspiel, das Fassbinders Skandalstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“, in dem jeder Zuhälter wie ein Shakespeare-Tragöde spricht und die Huren ihre Straßenkonversationen per Sie miteinander führen, zum harten Meta-Melodram entwickelte. Wie hypnotisiert geht Caven an der Seite des charismatischen „reichen Juden“ Klaus Löwitsch da ihren Opfergang, mit versunkenem Blick und dem Leidensgestenrepertoire des expressionistischen Kinos.
Fünf Filme drehte Schmid mit Ingrid Caven, von der subversiven Revue „Heute Nacht oder nie“ (1972) bis zu „Hors Saison“ (1992) – in beiden Filmen reinszenierte der Hotelierssohn die Orte seiner Kindheit im familieneigenen Hotel in Flims. Seine stärksten Arbeiten, zu denen unbedingt auch die Melofantasie „La Paloma“ (1974) zu zählen ist, gelangen Schmid in den siebziger Jahren. Man kann in diesen frühen Filmen ein Kino spüren, in dem noch alles möglich schien: die Lust an der Pose, der schiere Eklektizismus, die freie Assoziation.
1984 erreichte Schmids Laufbahn einen Wendepunkt: „Der Kuss der Tosca“, sein Dokumentarfilm über die bizarr-theatralischen Zustände in einem Altersheim für ehemalige Opernstars, geriet zum Kino-Überraschungserfolg – und er führte den Filmemacher umgehend zu einer zweiten Karriere als Opernregisseur in Genf und Zürich. Als müsse er dem Klassiker, zu dem er zu werden drohte, noch etwas entgegensetzen, veralberte er zuletzt noch seine Heimat: In „Beresina oder die letzten Tage der Schweiz“ (1999) wird in der neuen Alpenmonarchie ein russisches Callgirl zur Königin gekrönt. Dies blieb, trotz vieler noch offener Projekte, sein letzter Film. Im Hochsommer 2006 starb Daniel Schmid am Kehlkopfkrebs, erst 64-jährig. Seine Filme sollten „inutile“ und „inoubliable“ sein, hat er einst proklamiert – nutzlose, unvergessliche Kunst: Ausstellungsstücke aus dem Institut für avancierte Dekadenz.
■ „Das Leben als Inszenierung – Die Filme von Daniel Schmid: ab heute im Arsenal-Kino“; www.arsenal-berlin.de