Die Wahrheit: Die Hexenplage

Neues aus Westfalen: Höllische Abenteuer in der Gemeinde Nottuln. Wie die tumbe Dorfbevölkerung einmal aus ihrem Alltag gerissen wurde.

Alsbald sprangen die Nottulner gemeinsam mit den gefolterten Hexen um ein loderndes Feuer Bild: dpa

Am 2. April des Jahres 1997 geschah es, dass die am ganzen Körper mit dichten und verfilzten Haaren bedeckten 97 Bewohner des kleinen westfälischen Dörfchens Nottuln durch eine unfassbar grausige Begebenheit aus ihrem westfälischen Alltag gerissen wurden.

„Nottuln“ bedeutet im älteren Sprachgebrauch ungefähr „Ort der etwas anderen Menschen und Tiere“, und in der Tat gibt es allerhand seltsame Geschichten von diesem gottverlassenen Fleckchen zu erzählen, wie zum Beispiel die der furchtbaren Hexenplage, die im eingangs schon erwähnten Jahre 1997 plötzlich wie aus dem Nichts über den öden Landstrich kam.

Doch wir wollen am Anfang beginnen, wie es sich für gute Geschichten geziemt. Der Alltag der grobschlächtigen Nottulner besteht seit jeher darin, sich schon am Morgen das ortsübliche Fußpils – ein gewöhnungsbedürftiges Gebräu aus dem, was sich die Nottulner beim jährlichen Füßewaschen unter den langen, gelben Zehennägeln hervorschaben und monatelang in schwefeligem Brackwasser gären lassen –, sich schon morgens also das ortsübliche Fußpils gleich hektoliterweise in die quadratischen Köpfe zu schütten und einen Strohballen anzustarren, von dem die Legende geht, Nottulns Gründervater Theodor Hunsteger habe einmal, auf diesem Ballen ruhend, einen vernünftigen Gedanken gefasst, diesen aber sogleich wieder verworfen.

So war also auch an diesem 2. April ein guter Teil des Tages mit Fußpilstrinken und Strohballenanstarren vergangen, als plötzlich vom Marktplatz die Feuerglocke schrill scheppernd ertönte. Da aber die Nottulner von Natur aus nicht die begriffsfreudigsten Zeitgenossen sind, dauerte es eine ganze Weile, bis sie mit ihren sackartigen Schlafwämsen an den groben Leibern endlich die Hauptstraße entlangschlurften, die von normalen Menschen eher als schlammiger Trampelpfad wahrgenommen werden dürfte, wenn sich denn jemals ein Fremder in diesen gottverlassenen Ort verirrte. Das war aber noch niemals geschehen, so kommt es, dass die Notullner allesamt eng miteinander verwandt sind, was sich in ihrer gesamten Erscheinung niederschlägt.

Nun standen sie also auf dem Marktplatz und hielten Maulaffen feil, denn das, was den Bürgermeister Josef Schalau dazu veranlasst hatte, die Glocke zu läuten, ließ ihnen den Atem stocken. Mitten auf dem Platz standen fünf abscheuliche Kreaturen, die geradewegs der Hölle entsprungen zu sein schienen. Sie hatten glühende Teufelsaugen, entsetzliche Hörner und gespaltene Hufe und sangen grausige Lieder, die die Ohren schmerzen ließen. Der Bürgermeister Josef Schalau drehte sich vor lauter Entsetzen unentwegt um sich selbst und japste und keuchte und brachte keinen vernünftigen Ton heraus – was aber seinem ganz normalen Zustand entsprach.

Der Dorfweise Jupp Hoffschulte, der beinahe einmal zur Schule gegangen wäre und daher im Dorf als Person hoher Bildung galt, fasste sich aber als Erster wieder und erklärte den schreckensbleichen Umstehenden, dass es sich bei den Höllenkreaturen um nichts Geringeres als eine furchtbare Hexenplage handelte, der man nur durch Hexenprozesse und Foltermaßnahmen begegnen könne. Bei dieser schönen Gelegenheit, erklärte der Dorfpfarrer Huber – und eine purpurne Röte, die sicher nicht allein dem übermäßigen Genuss des Fußpils geschuldet war, ergriff dabei seine pockige Nase –, bei dieser Gelegenheit also, könne man doch auch Hühner bei lebendigem Leibe essen und mit zuckenden Gliedmaßen um einen Scheiterhaufen tanzen, denn er glaubte, irgendwo gehört zu haben, dass man das bei Hexenprozessen so mache. Nun warfen die Nottulner begeistert ihre Gummistiefel in die Luft, die ihnen dann auf die klobigen Schädel prallten. Die einen schleppten von ihrem Hausrat herbei, was sie tragen konnten, um einen schönen Scheiterhaufen zu errichten, die anderen folterten die Hexen, indem sie ihnen die Hörner kratzten und sie dazu zwangen, massenweise süßes Gebäck zu essen – denn, so glaubte Pfarrer Huber, ginge Hexenfolter. Alsbald sprangen die Nottulner gemeinsam mit den gefolterten Hexen um ein loderndes Feuer und gossen sich Fußpils in die Schlünde. Einzig die Nottulner Hühner weigerten sich, am Hexenprozess teilzunehmen. Erschöpft warfen sich die Dörfler nach getaner Hexenarbeit in ihre kotigen Koben und schnarchten, dass man es noch bis ins benachbarte Havixbeck hören konnte, wo Bauer Sandbaumhüter seine fünf unternehmungslustigen Ziegen vermisste.

Das Dörfchen Nottuln aber ist bis heute seiner Hexenplage nicht Herr geworden.

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