: Der Fluch der Landesgrenze
Stuhr muss bei der Ansiedlung von Einzelhandel in Brinkum-Nord keine Rücksicht auf Bremen nehmen – weil Bremen nicht zu Niedersachsen gehört. Das urteilte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Stuhr will gestärkt reden, Bremen weiter klagen
Bremen taz ■ Im seit Monaten andauernden Streit mit Bremen um die Ansiedlung von Einzelhandel im Stuhrer Stadtteil Brinkum-Nord hat die Gemeinde Stuhr gestern einen juristischen Sieg errungen. Das Oberverwaltungsgericht hob den von Bremen erzwungenen Baustopp für ein so genanntes „Factory-Outlet-Center“ im Ochtum-Park, gleich hinter der Bremer Landesgrenze, auf. Die Vorschriften des niedersächsischen Raumordnungsrechts gälten nur für Niedersachsen, Bremen könne sich nicht auf sie berufen, urteilten sie. Niedersächsische Kommunen und Landkreise seien daher auch nicht verpflichtet, auf die Belange von Gemeinden jenseits der Landesgrenze Rücksicht zu nehmen. Der Bremer Bausenator Jens Eckhoff (CDU) wollte das Einkaufszentrum verhindern, weil er die Konkurrenz für den Bremer Einzelhandel fürchtet.
„Spätestens jetzt hat man gesehen, dass man Politik nicht über Gerichte machen kann“, kommentierte der Stuhrer Bürgermeister Cord Bockhop (CDU) das Urteil. Er freue sich „für den Investor und für den Landkreis Diepholz.“ Vorwürfe von Bremer Seite, die niedersächsischen Nachbarn würden Baugenehmigungen nach „Wildwest-Methode“ erteilen, habe das Gericht eindeutig ausgeräumt. „Hier ist ordentlich gearbeitet worden“, unterstrich Bockhop. Bremen müsse nun einlenken und endlich akzeptieren, dass seine Nachbargemeinde Stuhr de facto längst ein Mittelzentrum sei – und dementsprechend auch das Recht habe, Einzelhandel anzusiedeln. Auf dieser Grundlage sei Stuhr auch zu Verhandlungen bereit.
Ob es dazu kommt, ist indes mehr als fraglich. Der Bremer Bausenator Jens Eckhoff (CDU) kündigte gestern bereits an, das Urteil aus Lüneburg nicht zu akzeptieren. Zwar sind gegen die Aufhebung des Baustopps selbst keine Rechtsmittel mehr zulässig. Das eigentliche Hauptsacheverfahren will Bremen aber ungeachtet des Eilurteils weiter betreiben. Es gehe um „Grundregeln der interkommunalen Zusammenarbeit“, so Eckhoff.
Unterstützung erfährt er vom Einzelhandelsverband Nordsee Bremen. „Jeder Quadratmeter mehr an Verkaufsfläche außerhalb Bremens bindet Umsatz“, sagte dessen Geschäftsführer Wolfgang Brakhane der taz, und: „Jeder Euro Umsatz, der in Stuhr gemacht wird, ist in Bremen nicht mehr auszugeben.“
Bockhop indes sieht weiteren Prozessen gelassen entgegen. Die Lüneburger RichterInnen hätten sich für ihr Eilurteil sehr viel Zeit gelassen, die Begründung sei ausführlich und gründlich. Dass im Hauptsacheverfahren doch noch gegen Stuhr entschieden würde, sei nicht zu befürchten.
Wegen des Dauerstreits um Brinkum-Nord war Stuhr Anfang Oktober aus der gemeinsamen Raumplanung namens INTRA ausgestiegen. Für die Fortsetzung dieses Prozesses, betonte Eckhoff gestern, stelle der Richterspruch aus Lüneburg „eine erhebliche Belastung“ dar. Nicht zuletzt deswegen müsse Bremen die Klage unbedingt weiter betreiben.
Bockhop dagegen bekräftigte die Bereitschaft Stuhrs zum Wiedereinstieg in die gemeinsame Planung. Bedingungen sei allerdings, dass Bremen von seinen „überkommenen Raumvorstellungen Abstand“ nehme. Eine grenzüberschreitende Regionalplanung, so Bockhop, sei „der einzig richtige Weg“. Denn dass Stuhr nach den geltenden Gesetzen auf Oldenburg als „Oberzentrum“, nicht aber auf Bremen Rücksicht nehmen müsse, „das ist doch absurd“.
Armin Simon